„Panikmache vermeiden“

Alarmismus schützt nicht vor Terror, sagt der Nahost-Experte Jochen Hippler

taz: Herr Hippler, 1.300 potenzielle Attentäter sollen unter uns leben. Macht Ihnen das Angst?Jochen Hippler: Jeder potenzielle Attentäter ist einer zu viel. Aber diese Zahl ist völlig unseriös und aus der Luft gegriffen. Wenn wir wüssten, wie viele Schläfer es gibt, wären es keine Schläfer.

Aber die Gefahr von Terror ist mit den beiden Bombenlegern vom Kölner Bahnhof doch näher gekommen...

Natürlich gibt es eine reale Gefahr. Aber gerade deshalb sollte man Panikmache vermeiden und einen kühlen Kopf bewahren. Alarmismus schützt nicht vor Terror.

Journalisten sollen auf die Zahl 1.300 gekommen sein, indem sie alle Mitglieder der Gewalt befürwortenden Organisationen zusammengezählt haben...

Ja, aber das macht keinen Sinn. Nicht jedes Mitglied einer politisch radikalen Partei ist ein potentieller Mörder, und auch das Kriterium „Gewalt zu befürworten“ ist völlig vage: das machen Regierungen unter bestimmten Bedingungen auch, sonst gäbe es kein Militär.

Halten sie 1.300 für hochgegriffen?

Diese Zahl ist sicher zu hoch, sonst hätten wir schon mehr Anschläge gehabt. Aber mein Problem ist vor allem, so eine konkrete und hohe Zahl zu nennen, wenn wir keine seriösen Informationen haben. Das schafft ein Klima von Panik, das wir jetzt nicht brauchen können.

Warum werden dann solche Zahlen auch von der Politik weiter getragen?

Es ist doch auffällig, dass uralte Vorschläge immer wieder dann aufgetischt werden, wenn irgendwo etwas Spektakuläres passiert. Tatsächlich soll nur eine vorher gewünschte Sicherheitspolitik damit vorangetrieben werden.

Was hilft da überhaupt?

„Importierten“ Terrorismus wie aus dem Libanon kann man – außer durch notwendige polizeiliche Kleinarbeit – nur dadurch bekämpfen, dass man langfristig an der Lösung von Konflikten im Nahen Osten mitarbeitet und nicht weiter Öl ins Feuer gießt. Stichworte sind Gewaltkonflikte in Palästina, Libanon oder Irak. Bei uns geborene potenzielle Terroristen können nur durch erfolgreiche Integration verhindert werden.

INTERVIEW: NATALIE WIESMANN