„Es wühlt sie auf“

Finissage Die Zeitzeugin Inge Deutschkron spricht zu einer Ausstellung über jüdische Fluchtorte

■ 70, ist geschäftsführender Vorstand der Inge-Deutschkron-Stiftung und begleitet Deutschkron auf ihren Vortragsreisen.

taz: Frau Keuper, Sie sagten, Frau Deutschkron sei zu aufgeregt für ein Interview. Wühlt sie das noch auf, obwohl sie so oft ihre Geschichte erzählt hat?

Ilka Keuper: Ja. Inge Deutschkron ist zwar für ihre 91 Jahre noch sehr vital und reist viel herum, aber wir müssen darauf achten, dass es nicht zu viel auf einmal für sie wird. Es ist tatsächlich so, dass sie jedes Mal, wenn sie über ihre Erfahrungen als Jüdin im Nationalsozialismus spricht, emotional wieder in diese Zeit zurückversetzt wird. Wie lange so etwas nachwirken kann, können sich die wenigsten vorstellen, glaube ich.

Gibt es ein Erlebnis, das sie besonders geprägt hat?

Was mir besonders in Erinnerung geblieben ist, ist, wie sie von ihrer Tante erzählt hat. Von ihrer Familie haben ja nur ihre Eltern überlebt. Als sie diese Tante in Berlin Spandau besucht haben, sagte die plötzlich „Geht jetzt bitte“. Inge Deutschkron und ihre Mutter gingen und sahen noch, wie sie abgeholt wurde.

Ihr Vater überlebte in England?

Er hatte dort eine Cousine. Weil eine hohe Kaution gezahlt werden musste, konnte nur einer aus der Familie gehen. Inge und ihre Mutter überlebten, weil sie versteckt wurden. Es ist ihr ein großes Anliegen, dass diese stillen Helden, die Juden und Jüdinnen gerettet haben, nicht vergessen werden.

Die Zeitzeugen sterben allmählich aus. Beschäftigt das Frau Deutschkron?

Ja, sehr. Sie hat ja für sich die Frage „Warum ich?“, mit der sich viele Holocaust-Überlebende gequält haben, damit beantwortet, dass sie Jugendliche darüber informieren muss, was passiert ist. Sie hat große Sorge, dass sich das wiederholen wird, wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt, die warnen können.

Wovor hat sie genau Angst?

Dass wieder eine Minderheit ausgerottet wird. Es treibt sie sehr um, dass Rechtsextremismus so verbreitet ist, dass mit ihren Steuergeldern beispielsweise die NPD finanziert wird. Es ist auf der anderen Seite aber auch so, dass sie gemerkt hat, dass in der letzten Zeit das Interesse am Thema wieder gewachsen ist. Sie ist davor lange Zeit auf Desinteresse und sogar Ablehnung gestoßen.  INTERVIEW: EIB

11 Uhr, Haus der Bürgerschaft