Der Leichenbitter

Es gibt Jobs, von denen weiß man gar nicht, dass es sie noch gibt. So wie der von Bernhard Jütting: Er ist Ansager im ostfriesischen Nortmoor im Landkreis Leer. „Wenn ich komme, komme ich des Todes wegen“, sagt der pensionierte Standesbeamte. Stirbt im Dorf jemand, zieht er ein weißes Hemd und einen dunklen Anzug an und geht von Haus zu Haus. „Moin“, sagt er dann. Erst mal. Und dann, dass er leider mitteilen müsse, dass jemand gestorben sei. Dabei informiert der 55-Jährige, wann die Beerdigung ist – und fragt nach, ob jemand beim Sargtragen oder bei der Teetafel helfen könne. Jütting ist personifizierte Todesanzeige und Organisator in einem.

Ansager, auch Leichenbitter genannt, gab es lange Zeit in Deutschland, vor allem in Niedersachsen und Schleswig-Holstein. „Die Ansager waren vielerorts eine Frühform des Bestatters, sie haben das Einsargen und die Leichenwäsche übernommen“, sagt Norbert Fischer, Professor für Volkskunde. Sie hätten sich um den Termin für die Beerdigung gekümmert, das Läuten der Kirchenglocken und darum, dass das Grab geschaufelt wurde.

Heute geht nur noch in ganz wenigen Dörfern ein Ansager von Haus zu Haus. Sie sind im Auftrag eines Bestatters unterwegs wie auch Jütting. Er hat einen Minijob. Das Prozedere läuft so ab: Die Familie des Toten nennt dem Bestatter die Straßen, in denen angesagt werden soll, und der schickt Jütting los. 15 bis 20 Häuser im Schnitt läuft er dann ab. Er wisse schon, dass seine Aufgabe für manche einen negativen Beigeschmack hat, sagt Jütting. Dass einige Leute sich womöglich erschrecken, wenn er in feierlicher Kleidung durch das Dorf geht. „Aber ich sehe das so: Der Tod gehört zum Leben dazu. Mit dem Ansagen helfe ich der Familie und erweise dem Verstorbenen einen letzten Dienst.“

Das Ansagen helfe, das Dorfgefühl zu stärken, sagt Jütting. „Wenn die Nachbarn Besuch vom Ansager bekommen, werden sie mehr mit einbezogen in den Umgang mit dem Todesfall. Es geht sie mehr an, als wenn sie es nur aus der Zeitung erfahren“.  (dpa)