WO IST DER BEACHCRUISER?
: Einfach vergessen

Ich plante bereits meine Entschuldigung

Am Morgen ging ich aus dem Haus, und mir fiel sofort auf, dass mein Rad nicht wie gewohnt im Fahrradständer auf mich wartete. Ich suchte es in allen Ecken und unter allen Sträuchern im Hof, obwohl ich es immer an derselben Stelle anschloss. Wie sehr ich mir auch die Augen rieb, mein dunkelblauer Beachcruiser blieb verschwunden. Nach einigen Minuten schaltete sich mein Gehirn wieder ein. Scheiße, ich hatte ihn vor einem Café stehen lassen! Ich hatte das Rad, mit dem ich länger zusammen war als mit irgendeinem Mann, einfach vergessen.

Zwei Tage zuvor war ich mit meiner Schwester unterwegs gewesen, die mit der Straßenbahn gekommen war. Ich hatte mein Rad wenige Meter neben einem Café bei mir um die Ecke in Friedrichshain geparkt – unangeschlossen, ich hatte es ja quasi im Blick. Als wir nach zwei Stunden aufbrachen, verhielt ich mich so, als hätte ich nie ein Rad besessen. Zu Fuß schlenderten wir weiter durch den Nachmittag. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Auch am nächsten Tag fiel mir nichts auf. Ich fuhr mit der S-Bahn zum Pilzesammeln. Da ist ein Rad, erst recht eins mit ausladendem Lenker, nur im Weg. Erst als die Maronen und Braunkappen längst verdaut waren, bemerkte ich den Verlust. Ich lief zu dem Café, wo ich es stehen gelassen hatte, und stellte mir vor, wie es mich vorwurfsvoll anschauen würde, und legte mir Worte der Entschuldigung zurecht. Natürlich war es nicht mehr da.

Ich verfluchte meine Vergesslichkeit und rief mir all die schönen Momente ins Gedächtnis, die wir zusammen gehabt hatten. Nicht ein einziges Mal hatten mich die dicken Reifen im Stich gelassen. Kein einziger Platten in gut zehn Jahren. Ich kam mir schrecklich undankbar vor. Wie konnte ich die treue Seele vergessen. Sollte ich mein geliebtes Rad mit einem neuen Besitzer sehen, kann es gut sein, dass ich mich vergesse. BARBARA BOLLWAHN