Wo selbst das Einhorn rockt

Den großen Mythos von der Peinlichkeit befreien: Das könnte es sein, was die Jungens von Wolfmother so erfolgreich macht. Gerade weil ihre mit Legenden beladene Musik und ihr Jugendzimmer-Erscheinungsbild so weit auseinanderklaffen, liefern sie mehr als ein bloßes Revival des Hardrock

VON ANDREAS HARTMANN

Plötzlich muss es Hardrock sein. Die Siebzigerjahre, Black Sabbath, Led Zeppelin, Thin Lizzy. Langhaarrock aus der goldenen Ära der Hotelzimmerverwüster- und Groupiesvernascherbands kehrt dank Wolfmother aus Australien in einer Jugendzimmervariante zurück.

Wolfmother sind mindestens genauso heavy wie ihre Vorbilder, nur dass es hier keine doppelhalsigen Gitarren, keine im Schritt mit Socken ausgestopften Lederhosen und keine stundenlangen Schlagzeugsoli gibt. Myles Heskett, der Schlagzeuger der Band, und Bassist Chris Ross, sehen eher aus wie College-Studenten, haben kurze Haare und stehen auf der Bühne definitiv nicht unter Drogen. Sänger Andrew Stockdale hat zwar einen verwegenen Wuschelkopf, braucht aber schon seinen Schnauzer, den er sich seit kurzem wachsen lässt, um etwas weniger milchbubihaft zu wirken.

Erscheinungsbild und Musik klaffen bei Wolfmother arg auseinander. Doch gerade das rettet sie davor, eine reine Revivalband zu sein. Die Band will eindeutig nicht zurück in die Siebziger, sondern holt eher den Sound von damals in das Heute. Darüber, warum sie damit gerade jetzt so derart einen Nerv treffen und nicht nur in ihrer Heimat Australien unfassbar erfolgreich sind, sondern auch ihr Konzert im Berliner Postbahnhof ausverkauft war, kann nur spekuliert werden. Schon ist wieder die Rede von einem Siebziger-Revival, von der Rückkehr des Proletensounds Hardrock, von einer Sehnsucht nach simplen Rockerwerten wie Ehrlichkeit und Gediegenheit in einer immer unübersichtlicher werdenden Welt.

Doch wahrscheinlich sind all die Versuche, Wolfmother als Zeitgeistphänomen einzusortieren, albern. Es ist wohl eher schlichtweg so: Das Debütalbum von Wolfmother rockt wie die Hölle, Andrew Stockdale singt wie ein Clon aus den Genen von Jimmy Page und Ozzy Osbourne, und das alles ist einfach nur richtig geil. Simpel. Aufregend. Wolfmother geben sich richtig Mühe bei dem, was sie tun; nichts überlassen sie dem Zufall, sie wollen um jeden Preis das Rockspektakel.

Auf dem Cover ihrer Platte gibt es natürlich eine Airbrush-Zeichnung einer halbnackten Hexe umringt von seltsamem Getier, und in den Texten geht es um weiße Einhörner und Hexenkräfte, sodass es selbst Tolkien-Fans schummrig werden kann. Man soll eintauchen in eine Welt, die mit dem schnöden Alltag nichts zu tun hat. Geprobt hat die Band in dem Studio, in dem Pink Floyd „The Wall“ aufgenommen hat, eingespielt wurde ihr Album dort, wo Nirvanas „Nevermind“ entstanden ist. Es geht um Mythen, um Rockgeschichte, um Großes. Wolfmother – Wolfsmutter: Man denkt an Rom, ewige Stadt, daran, dass auch der Rock niemals sterben darf.

Auch Andrew Stockdale verlangt von seinem Publikum, niemals vom Glauben abzufallen. „Rock ’n’ Roll, Wolfmother, Rock ’n’ Roll!“, brüllt er. Genau so etwas will man jetzt hören, Luftgitarre spielen, die Augen rollen, die Hände zu Fäusten ballen, die viel zu kurzen Haare schütteln.

Die Bekenntnisse sind schlicht, doch von tiefer Wahrheit, und Rock ’n’ Roll sagt mehr als tausend Worte. Die Rock-’n’-Roll-Parole ist so simpel wie der Sound dieser Band, der aus Riffs wie aus Stein gemeißelt und aneinandergereihten Rockklischees besteht, die seltsamerweise nicht abgestanden wirken, sondern einen – Entschuldigung, aber so sagt es der Rocker – an den Eiern packen. Nicht immer wird man plattgewalzt von dieser Effektivitätsmaschine, stellenweise verlieren sich Wolfmother in Gedaddel und Gejamme und verführen einen dazu, sich mit seinem Nachbarn zu unterhalten. Doch die Band will ja eben schließlich nicht so tun, als hätte hier jeder einen Dauerständer. Und das unterscheidet diese Epigonen von den Rockdinosauriern aus den goldenen Siebzigern. Der klassische Schwanzrock wird hier von niedlichen Jungs gemacht und nicht von echten Männern, und das darf man auch sehen, hören und fühlen. Es ist gut, dass die Siebzigerjahre vorüber sind.