DER NIEDERGANG DER STAHLEMAILS, GEISTESGEGENWART BILLIG BEI EBAY UND ANDERE INTERNET-ENTDECKUNGEN IM FIEBERWAHN
: Die Datenkrakenhakennase

MICHAEL BRAKE

Krank sein, also: ein bisschen Fieber und Schnupfen und einen matschigen Kopf haben, ist ja an sich was Gutes, ein Grund zum Runterkommen, bald werden es sicher Selbsterfahrungsbücher mit Titeln wie „Zwei Wochen Scharlach. Meine kleine Flucht aus dem To-do-Listen-Wahn“ in die Beststellerlisten schaffen. Krank sein ist aber blöd, wenn man noch eine Kolumne schreiben muss, die Konzentrationsspanne nur noch fünf Sekunden beträgt und man mit glasigen Augen ziellos durchs Internet hovert.

Bonmots ploppen auf, „I watched them marry on MySpace and saw them divorce on Facebook“, dann ein unfassbar komisches Animated GIF mit einem Affen und einer Katze, dann ein Text über Zugfahr-Stipendien für Autoren in den USA. Ich schicke ihn E., sie schickt mir dafür ein Video über die Bahnstrecke New York – Washington und es läuft durch und danach kommen „Lessons from a Master Cat Photographer“. Schon wieder Katzen, sie sind überall, wie passiert mir das bloß immer?

Parallel reden natürlich alle über WhatsApp, weil das ja verkauft wurde und dann auch noch ein paar Stunden ausgefallen ist, aber ich hab ja nicht mal mehr ein Smartphone, weswegen ich auch bei Quizduell nicht mitreden kann (ich bin ein lausiger Online-Kolumnist). „Nur mal kurz: Bei Facebook zu verkünden, dass man jetzt von WhatsApp zu Threema wechselt … hä?“ ist definitiv der beste Beitrag zum Thema. Darunter wird dann ein Titanic-Text über eine mutmaßlich antisemitische Karikatur in der SZ verlinkt, die Mark Zuckerberg mit Datenkrakenhakennase zeigt. Wäre ich jetzt auch wieder nicht von alleine draufgekommen, dass das antisemitisch ist, weil ich weder bei Kraken noch bei Zuckerberg an „jüdisch“ denke, selbst im dritten Anlauf nicht, sondern an 1. Antipasti, 2. Tentakelsex, 3. Sharktopus und 1. Harvard, 2. Lockenkopf, 3. diesen süßen Hund der Zuckerbergs, wie war gleich sein Name, ah, ja: Beast.

Aber egal, da kommt schon wieder was Neues auf Facebook rein. Die Jahresbilanz der deutschen Emailindustrie nämlich, der Absatz von Stahlemails sank im Berichtsjahr 2013 von 6.058 auf 5.973 Tonnen. Ein trauriger Trend, wieder richtet das Internet einen Berufszweig zugrunde. Und Samstagabend wird dann plötzlich ein Sack voller Beiträge zu einer fancy Netzkultur-Konferenz im Haus der Berliner Festspiele in meine Timelines gespült, einer Konferenz, auf der jede Menge Bekannte von mir rumlaufen und von der ich nicht einmal wusste. Ich bin WIRKLICH ein lausiger Online-Kolumnist.

MontagAnja Maier Zumutung Dienstag Jacinta Nandi Die gute Ausländerin Mittwoch Matthias Lohre Konservativ Donnerstag Margarete Stokowski Luft und Liebe Freitag Jürn Kruse Fernsehen

„Von der Netzkultur-Konferenz habe ich die Idee für ein neues Gartenhaus mitgenommen. So kann’s gehen“, schreibt Christiane Frohmann, und kurz davor, oder war es danach, hatte sie ihr neues Tumblr „Find your Phenomen on eBay“ verlinkt, wo sie automatisch generierte Werbung zu Google-Suchen sammelt. „Finden Sie tolle Angebote auf eBay für Leben nach dem Tod...“ oder „Bei eBay finden Sie eine große Auswahl an Geistesgegenwart …“, so was Tolles sieht man auch nur, wenn man mal den Adblocker ausschaltet. Uff. Und ich sollte dringend mal nach „Gesundheit“ googeln.