LESERINNENBRIEFE
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Ein Leben am Abgrund

■ betr.. „Sparpaket. Die asoziale Regierung“, taz vom 2. 9. 10

Lebe ich noch oder existiere ich nur noch? Diese Frage stellen sich viele Hartz-IV-Betroffene oder Minirentner. Jeder Mensch empfindet anders, deshalb kann ich hier nur über meine Gefühle berichten.

Ich erhalte 277 Euro EU-Rente. Das reicht nicht zum Leben und nicht zum Sterben. Mit meinen Ehemann lebe ich in einer Bedarfsgemeinschaft und erhalte zusätzlich Hartz IV. Mein Mann ist 56 Jahre alt und hat keine Chance mehr auf dem ersten Arbeitsmarkt. Ich bin zwar erst 49, aber zu 70 Prozent behindert und sitze im Rollstuhl.

Alte Menschen und Menschen mit Behinderung sind in diesem Staat unerwünscht. Ich fühle mich jedenfalls diskriminiert, wenn die Vergünstigungen für Bus- und Zugfahrten wegfallen sollen. Gerade alte Menschen und Behinderte sind auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Da sind aber noch die vielen Arztbesuche, die wir in Anspruch nehmen müssen. Aber wenn die Praxisgebühr auch noch steigen sollte, dann geben wir eben den Löffel ab. Auch bei der Medikamentenzuzahlung sollen gerade die Behinderten und alte Menschen mehr in die Tasche greifen. Auf diese Art und Weise kann man auch die Bevölkerung reduzieren, denn nicht alle werden sich auf Dauer die notwendigen Medikamente leisten können. Ich sitze zwar im Rollstuhl, bin aber nicht blöd und kämpfe für meine Rechte. Niemand wird mich aufhalten, wenn ich an Protestaktionen teilnehme oder selber welche organisiere.

Ein Leben am Abgrund: Ich weiß, was das bedeutet. Je weiter der Monat voranschreitet, je mehr leert sich der Kühlschrank. Die Werbungen mit Sonderangeboten bei Lebensmitteln werden sorgfältig studiert. Ein dringend nötiger Schrank wird immer ein Traum bleiben. Die größte Angst hat man vor Reparaturen, zum Beispiel am Kühlschrank. Am kulturellen Leben kann man nur bei kostenlosen Veranstaltungen teilnehmen. Dafür muss man sich durch Bürokratenkram wälzen. Vergisst man einen Antrag oder eine Auflage, hat es schwerwiegende Folgen. Sind wir noch Menschen oder nur unnötiger Ballast für die Gesellschaft? Ich möchte Kontakte knüpfen, denn nur gemeinsam können wir den Regierenden Angst machen. Kontakt: birgit-kuehr@online.de

Engagement gegen den Krieg

■ betr.: „Afghanistan. Das böse Wort mit K“, taz vom 3. 9. 10

Wie ist es möglich, einen Artikel über den Krieg in Afghanistan zu schreiben, dabei auf den Untersuchungsausschuss des Bundestages einzugehen, aber die Partei, die am kritischsten mit den Zuständen in Afghanistan und der Bundeswehr ist, auszuklammern? Warum wird das Engagement von Abgeordneten wie Jan van Aken oder Christine Buchholz nicht anerkannt? Diese linken Abgeordneten sind diejenigen, die bei afghanischen Hoffnungsträgern wie Ramazan Bashardost oder Malalai Joya das andere, friedliche Deutschland darstellen. Momentan sind sie in Deutschland unterwegs, um eine Ausstellung über den Krieg in Afghanistan und die Hintergründe des Angriffs auf die Tanklaster zu zeigen.

Dieses Engagement gegen gegen den Krieg totzuschweigen und mit keinem Wort zu erwähnen, finde ich schwach, liebe taz!

STEN MARQUASS, Potsdam

Fragen zur Statistik

■ betr.: „Arbeitsmarkt. Arbeitslosenzahlen sinken und sinken“,taz vom 1. 9. 10

Sinken die Arbeitslosenzahlen tatsächlich, oder werden die Zahlen wieder geschönt. Wie viele Menschen sind in 1-Euro-Jobs? Wie viele sind krank? Wie viele sind in Trainings- und Fortbildungsmaßnahmen? Es stellen sich noch mehr Fragen zu dieser Statistik. Angeblich steigt die Zahl der offenen Stellen. Wie viele sind denn der Arbeitsagentur gemeldet? MARION MANNECK, Essen

Rassistische Exzesse

■ betr.: „Abschiebung wird zum Zankapfel“, taz vom 3. 9. 10

Frankreichs Ministerpräsident Sarkozy gefällt sich neuerdings im populistischen Kostüm: Er wirft kurzerhand alle Sinti und Roma aus dem Land, obwohl sie Mitbürger der europäischen Union sind. Europäisches Recht lässt einen solchen Schritt nur gegen Einzelpersonen zu, und auch nur dann, wenn gegen sie Gerichtsbeschlüsse vorliegen. Deshalb grenzen Sarkozys Maßnahmen an rassistische Exzesse aus einem früheren Großreich. Warum greift Brüssel – sonst doch sogar um unsere häusliche Beleuchtungstechnik besorgt – nicht schon längst ein? JÜRGEN BÖCK, Wasserburg