Ärzte gehen nicht unbedingt dahin, wo man sie braucht

MEDIZIN Kassen wollen in „überversorgten“ Gebieten Praxen abbauen und mehr Hausärzte auf dem Land

In Baden-Württemberg wurde nur eine Arztpraxis in einem überversorgten Gebiet stillgelegt

BERLIN taz | In Deutschland gibt es genug Ärzte, nur eben nicht da, wo sie gebraucht werden. Dies jedenfalls behauptet Johann-Magnus von Stackelberg, Vizechef des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV). Stackelberg fordert drastische Maßnahmen, um Arztpraxen in sogenannten überversorgten Gebieten abzubauen und dafür mehr Ärzte in ländlicheren Gebieten anzusiedeln. „Wir setzen dabei auf den Koalitionsvertrag“, sagte der Vizechef am Donnerstag in Berlin.

Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung sieht vor, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen künftig „verpflichtet“ werden sollen, Arztpraxen in überversorgten Gebieten aufzukaufen und stillzulegen, wenn der Inhaber in Rente geht. Eine gesetzliche Regelung dazu steht noch aus.

Bisher gibt es nur eine „Kann“-Bestimmung für den Aufkauf dieser Praxen. Niedergelassene Ärzte, die ihre Praxis an ein Familienmitglied weitergeben oder an einen Mediziner, der vorher in der Praxis als Angestellter beschäftigt war, sind von der Regelung ausgenommen. Vor allem die Möglichkeit, die Praxis an einen zuvor angestellten Arzt weiterzuverkaufen, müsse gekippt werden, forderte von Stackelberg.

Im Gegenzug des Abbaus in manchen Städten möchte der Vizechef mehr Hausärzte in unterversorgten Regionen sehen. Nach Angaben von Stackelbergs fehlen in Deutschland 1.000 Hausärzte. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung geht sogar von 2.600 fehlenden Hausärzten aus, Tendenz steigend.

Die Definition der „Überversorgung“ ist allerdings umstritten. Sie richtet sich nach den Verhältniszahlen von Arzt pro Einwohner. Diese wurden 1990 erhoben, weitergeschrieben und flexibilisiert. Es bestehe jedoch eine „Kluft zwischen der rechnerischen Größe der Überversorgung und dem Bedarf“, sagt Kai Sonntag, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg.

Freiburg beispielweise hat mit 23 Augenärzten eine rechnerische Versorgung von 160 Prozent, ab 110 Prozent fängt die „Überversorgung“ an. „In diesen Praxen gibt es aber nach wie vor Wartezeiten“, sagt Sonntag. In Baden-Württemberg wurde bisher nur eine einzige Facharztpraxis in einem „überversorgten Gebiet“ von der kassenärztlichen Vereinigung aufgekauft und stillgelegt, berichtet der Sprecher. Auch in anderen Regionen gab es so gut wie keinen Abbau der Arztpraxen.

BARBARA DRIBBUSCH