KOMMENTAR VON ANNA LEHMANN
: Separatismus von oben

Die Bildungspolitiker geben Milliarden dafür aus, Kinder früh zu separieren

Wie halten es eigentlich Bildungspolitiker mit der gerade so viel diskutierten Integration? Sie sind offensichtlich dagegen, denn sie geben Milliarden dafür aus, Kinder möglichst früh zu separieren. Bereits in der Grundschule werden Kinder, die als „lernschwierig“ oder „verhaltensauffällig“ gelten, an sogenannte Förderschulen verwiesen. Damit ist der Weg ins „Übergangssystem“ für achtzig Prozent von ihnen vorgezeichnet.

So zeigt auch eine aktuelle Studie der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD): Deutschland verschleudert mit seiner Bildungspolitik extrem viel Potenzial. Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Familien haben so gut wie keine Chance, sich auf dem Arbeitsmarkt dauerhaft zu integrieren. Denn ohne Abitur gelingt es fast niemandem, in hochqualifizierte und krisenfeste Berufe einzusteigen. Über eine Million Schulabgänger aus Haupt- und Förderschule bekommen keine reguläre Lehrstelle. Sie werden in Übergangsmaßnahmen geparkt.

Einige Kultusminister haben in den letzten Jahren mit mehreren hundert Millionen Euro versucht, die Hauptschulen zu retten. Die ständische Auslese hat ja jahrelang prima funktioniert. Die Gutsituierten haben ihren sozialen Status und ihre hoch bezahlten Jobs an ihre Kinder weitergegeben. Erst im Sommer haben Hamburger Eltern gezeigt, wie viel aggressive Energie sie aufbringen können, um diese Privilegien zu verteidigen. Den Volksentscheid zur Rettung „ihrer Gymnasien“ haben sie für sich entschieden.

Doch nun wird die Situation langsam auch von konservativen Politiker als bedrohlich empfunden: Deutschland gehen die Hochqualifizierten aus, und das schadet der Wettbewerbsfähigkeit. Zugleich kommen weniger Kinder nach.

Diese Konstellation bietet die Chance, den Bildungsseparatismus zu überwinden. Man wird es sich nicht mehr lange leisten können, dass jeder fünfte Schüler noch in der 9. Klasse nur auf Grundschulniveau lesen kann und ohne Berufsausbildung bleiben wird. Alle Kinder müssen vom Kindergarten an gefördert werden – individuell und ohne jene Barrieren, die bereits Zehnjährigen die Aussicht aufs Abitur verbauen.

Man wird die Bildungspolitiker daran messen müssen, ob sie gewillt sind, die Klassenschranken abzubauen und endlich Integration zuzulassen.