CHECKPOINT CHARLIE
: Immer gleicher

Sergio hatte ein Faible fürs ziellose Flanieren

Es war ein kühler Tag. Die Wolken hatten sich bedrohlich zusammengebraut, doch Sergio und ich blieben vom Regen verschont. Über unseren Strandliegen im Kiki Blofeld stand stundenlang eine magisches Wolkenloch. Sergio genoss sein leicht aufgeschäumtes, wohltemperiertes Abendbier sichtlich. Er war aus New York für zwei Monate nach Berlin gekommen – als Anhang seiner forschenden Frau – und hatte die Stadt systematisch zu Fuß erkundet. Sergio hatte ein Faible fürs ziellose Flanieren durch Großstädte, es war weniger das, was er sah, was ihn interessierte, als vielmehr die Bewegung an sich.

Auch die Antihelden seiner Bücher waren stets unterwegs. In seiner letzten Novelle irrte ein Besucher einer örtlichen Buchmesse tagelang durch eine der Klonstädte Südbrasiliens. Er suchte verzweifelt einen Park, der sich auf dem im Hotel ausgegebenen Faltplan als vielversprechender grüner Fleck im Herzen der Stadt ausbreitete. Doch dort, wo der Park sein sollte, fand er nur verschiedenfarbige Betonbauten. Auch in Berlin war es ihm oft so ergangen, dass er Dinge nicht fand, die doch in den offiziellen Karten verzeichnet waren, und in den Straßen stattdessen auf eine Abfolge internationaler Flagshipstores und Convenience-Food-Ketten traf, vor denen er eigentlich auf der Flucht war.

Die Megacitys der Welt werden sich immer ähnlicher, sagte Sergio, überall McDonald’s, Starbucks, Kentucky Fried Chicken. Du landest auf einem fremden Flughafen auf einem bislang unbekannten Kontinent und findest dich perfekt zurecht. Schlimmer noch, auch die kulturellen Highlights sind nicht mehr ortsgebunden: In Berlin hat Madame Tussaud’s aufgemacht, es gibt Pläne für ein Disneyland auf dem Tempelhofer Feld. Wir können die Tage zählen, seufzte Sergio, bis wir in New York einen Checkpoint Charlie besuchen dürfen. TIMO BERGER