Jukebox

Die Dresselhaus-Gang Indie von der Lippe

Spätestens 1996 war es so weit. Auch Indie-Rocker, die einen Computer bis dahin für Teufelszeug gehalten hatten, waren nun langsam gelangweilt von den immer gleichen Klischees, die in ihrer Branche wiedergekäut wurden. Einer von ihnen war Dirk Dresselhaus, genannt Schneider, zentrale Figur des ostwestfälischen Rock-Undergrounds. In seiner Rockband Hip Young Things spielte er bis 1997 standhaft Gitarre, beeinflusst von Dinosaur Jr. oder den Pixies. Aber, und man darf das ruhig eine Pionierleistung nennen, schon 1992 hatte er begonnen, in dem Nebenprojekt Locust Fudge Indie-Rock-Strukturen mit elektronischen Elementen aufzuweichen. Sein Partner dabei war Christopher Uhe, genannt Krite, der sonst Sharon Stoned betrieb, eine andere lokale Legende mit einem retrospektiv gesehen eher peinlichen Namen. Vor zehn Jahren setzte sich Schneider an die Regler, um das neue Album von Sharon Stoned zu produzieren: Das daraus entstandene Werk trägt nicht umsonst den Titel „Sample & Hold“ und lieferte die Blaupause eines Sounds, der Jahre später Data Pop oder Indietronics genannt werden sollte. Aber noch war die Zeit nicht reif: „Sample & Hold“ wurde bestenfalls wahrgenommen als neues Album dieser halbberühmten Band aus Salzgitter, dabei war darauf bereits angelegt, was The Notwist (deren Gebrüder Acher auch immer wieder mit den Ostwestfalen zusammen arbeiteten) später zu Meisterschaft und kommerziellem Erfolg führen sollten. Im Laufe der 13 Songs von „Sample & Hold“ scheint die Digitalisierung immer mehr Raum zu gewinnen: Es beginnt mit kleinen Effekten aus dem Sampler, bevor die ersten programmierten Rhythmen das Schlagzeug ergänzen und endet schließlich in einem Remix des Titelstücks, der auch heute noch in der Chill-Out-Zone eines Clubs laufen könnte. Dresselhaus werkelte währenddessen im stillen Kämmerlein so lange an den neuen technischen Möglichkeiten herum, dass er der Gitarre immer überdrüssiger wurde. Allerdings brauchte es erst noch eine weitere Indie-Rock-Legende, City-Slang-Chef Christof Ellinghaus, um das zu Gehör zu bringen. Der musste den damals noch fest an die Rockmusik glaubenden Schneider erst überzeugen, dass er sich traute, seine Spielereien auch herauszubringen, sich Schneider TM zu nennen und zu einem der umtriebigsten und interessantesten Elektronica-Musikern hierzulande zu werden. THOMAS WINKLER