Weites Feld der Wünsche

VOLKSENTSCHEID Die Grünen-Fraktion lädt zu einer Diskussion über das Tempelhofer Feld ein. Es kommen Leute, die alles noch mal „neu denken“ wollen. Staatssekretär Gothe gibt sich bedingt kompromissbereit

Widersprüchlicher geht es kaum: Sieben Studentengruppen haben sich über Wochen mit dem Tempelhofer Feld befasst, erzählt ein Experte von der TU. Sie haben sich Bauentwürfe ausgedacht – und am Ende dann alle für das Volksbegehren unterschrieben. Also gegen jegliche Bebauung. Ein paar Stuhlreihen weit entfernt sagt der Grünen-Parlamentarier Thomas Birk leise: „Wie soll ich denn damit als Abgeordneter umgehen?“

Es ist Donnerstagabend. Weit über hundert Menschen sind der Einladung der Grünen-Fraktion gefolgt, drei Monate vor dem Volksentscheid am 25. Mai über die Zukunft des Tempelhofer Felds zu diskutieren. Der große Raum im Abgeordnetenhaus ist gut gefüllt. Kaum jemand scheint hier dringend auf Wohnungssuche zu sein. „Stoppen“, „noch mal aufrollen“, „neu denken“, „das Ganze zu einem Experimentierfeld machen“ – immer wieder fallen solche Begriffe zu den Planungen für das Feld.

Es ist auch eine Veranstaltung, bei der deutlich wird, wie viele Interessen es am Tempelhofer Feld gibt. Und wie sehr Einzelne ihr Anliegen vor das der anderen stellen.

Fraktionschefin Antje Kapek hat ihre Anmoderation kaum beendet, da meldet sich energisch eine Frau und wirft ihr vor, die Erinnerung an Naziverbrechen am Feld vergessen zu haben. Ein anderer, der lange für die Bürgerinitiative 100 % Tempelhofer Feld stand, geht sogar 800 Jahre zurück, um eine Bebauung abzulehnen. Sogar eine Verschwörungstheorie taucht auf, derzufolge „die Berliner Medien“ in Gänze erpresst würden, nicht zu Pressekonferenzen der Initiative zu gehen.

SPD-Staatssekretär Ephraim Gothe ist an diesem Abend der Mann, der die Planungen des Senats verteidigt, die im sogenannten Masterplan beschrieben sind. Ein Bild davon ist am Saalende an die Wand geworfen: viele rote und und ein paar gelbe Kästchen für Wohnen und Gewerbe, ein kleines lila Kästchen für die geplante neue Landesbibliothek, die seit Jüngstem wegen neuer Kostenschätzungen auf der Kippe steht.

Gothe setzt das fort, was sein Boss und SPD-Genosse, Stadtentwicklungssenator Michael Müller, schon seit Wochen im Parlament vertritt: Man will am Tempelhofer Damm so schnell wie möglich losbauen, weil in Berlin Wohnungen fehlen. Bei den anderen geplanten Baustandorten auf dem Feld könne man aber mit sich reden lassen. In der jüngsten Plenarsitzung hatte sich Müller von jener Fläche verabschiedet, die am Columbiadamm als eine Art Baureserve vorgesehen war. Nun sagt Gothe zu den beiden weiteren Projekten – im Osten zur Oderstraße hin, im Süden direkt an S- und Autobahn –, hier könne man auch noch einmal über Partizipation nachdenken.

Anfang kommender Woche geht die Tempelhof-Diskussion in die nächste Runde: Dann treffen sich Koalition und Opposition, um über jenen Gesetzentwurf zu sprechen, der am 25. Mai die Alternative zur Null-Bebauungs-Forderung der Bürgerinitiative sein soll. Bislang steht darin nicht viel, was ihn aus Grünen-Sicht zu einem Mittelweg zwischen Ja und Nein machen könnte. Zu großen Kompromissen scheinen SPD und CDU bislang nicht bereit. Ein rot-schwarzer Alleingang käme aber offenbar auch bei der Wirtschaft nicht gut an. Vom Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen, nicht als erzgrüne Hochburg bekannt, war am Donnerstagabend jedenfalls zu hören: „Das wäre schon gut, wenn sich da nicht nur eine Seite wiederfindet.“ STEFAN ALBERTI