zwischen den rillen
: Ganz großes Kino, auch ohne Film

Auf ihrem neuen Album „Idlewild“ albert sich das Hiphop-Duo Outkast durch den Jazz der Prohibitionszeit

Erwartungen können ja so viel kaputtmachen. Insbesondere, wenn man immer wieder und wieder und wieder vertröstet wird. Das erste Mal sollte das neue Outkast-Album „Idlewild“ im vergangenen November erscheinen und es kam nicht. Dann gab es einen Termin für Februar. Auch der verstrich. Im Frühsommer werde die Platte aber wirklich kommen, hieß es dann. Auch da kam nichts. Nun ist sie endlich da, und die eigentümliche Logik aus sich ständig intensivierenden Liebes- und Hassgefühlen, in die einen dieser ewige Aufschub gezwungen hat – ganz ähnlich der vor endlos verspäteten Konzerten, wo man ja auch abwechselnd pfeift und klatscht –, lässt sich eigentlich nur genauso lösen wie bei einem Konzert. Mit Überwältigung: Licht aus, irgendeine Art von Fanfare kommt, die Scheinwerfer gehen an, die Band ist da und alles wird gut.

Genau das fällt bei „Idlewild“ für uns Europäer leider aus. Es ist der Soundtrack zu dem gleichnamigen Film, und während die Platte in den USA am vergangenen Montag erschien und der Film heute folgt, können wir uns hier nur an der Platte festhalten: auf den Film heißt es warten, lange warten wahrscheinlich. Einen Termin für den deutschen Start gibt es nicht. Was also tun? Hier, im Dunkeln? Das Kino im Kopf einschalten, wie diese grässliche Hörspieljury-Formulierung so treffend lautet?

Es hilft. Denn Outkast mögen die interessanteste Hiphop-Gruppe der vergangenen zehn Jahre sein – sie sind es nicht zuletzt deshalb, weil ihre Platten immer Alben im klassischen Sinne waren. Ja, es gab die Überhits wie „Ms. Jackson“ oder „Hey Ya!“. Doch die Alben lebten immer von dem stilistischen Wildwuchs zwischen Electro, P-Funk, Soul, Rap und Psychedelic Rock, der Raum zur Entfaltung brauchte. So ist es auch auf „Idlewild“. Nur dass als bestimmendes Element nun die verschiedensten Spielarten des Jazz in den Vordergrund gerückt sind.

Und den Film kann man (auf Basis des Trailers) ungefähr so vorstellen: Der Sänger und Clubbetreiber Rooster (gespielt von Big Boi, der einen Outkast-Hälfte) betreibt in den Dreißigern im amerikanischen Süden einen Laden zusammen mit Percival, einem Pianisten (gespielt von Andre3000, der anderen Hälfte). Die Mafia möchte jedoch Schutzgelder erpressen, weshalb die beiden in den Norden fliehen müssen. Das Ganze soll organisiert sein wie ein Musical – womit zum einen die Bandbreite der musikalischen Einflüsse aufgefächert wäre.

Denn natürlich ist „Idlewood“ kein Versuch, Hiphop und Jazz zu fusionieren – wie ihn das Guru’s-Jazzmatazz-Projekt etwa unternimmt. Und auch kein Swingnachbau, wie es Chaka Khan Anfang der Achtziger einmal vormachte. Jazz hat für Outkast erfrischend wenig mit Geschmack und historischer Akkuratesse zu tun – das ist er auch, vor allem aber ist Jazz Vorwand für so hemmungslos albernen wie großartig verdrehten Spaß.

Da gibt es den großartigen Tanzboden-Blues von „Idlewild Blue“, stilecht mit Gitarre und Mundharmonika, das Marching-Band-Gepolter von „Morris Brown“, das sich anhört, als sei zu allem Überfluss auch noch Brian Wilson von den Beach Boys in die Tuba gefallen. Auf den düsteren Einsamkeits-Heuler „Chronomentophobia“ folgt das Bahnsteigsabschiedskuss-Bläsergehupe von „The Train“. Neben dem Wirtshausschlägerei-Stomper „Call The Law“ steht der wundervolle Dada-Bebop-Track „Makes No Sense At All“. Und am Schluss findet dann alles in dem Electrofunk-Stück „The Greatest Show On Earth“ wieder zusammen.

Dazwischen wird es immer wieder selbstreferenziell – wie im Hiphop üblich. Aber im Falle des künstlerisch-überdrehten Andre3000 und des eher bodenständig-fraueninteressierten Big Boi hört man sich das durchaus gerne an. Manchmal kommt einem „Idlewood“ vor wie ein riesiges Skizzenbuch – unfertig und genialisch. Als akustisches Storyboard ist es aber großes Kino.

TOBIAS RAPP

Outkast: „Idlewild“ (SonyBMG)