Schatz, lass uns eine Bedarfsgemeinschaft bilden!

VON MONICA KRÜGER

Um 1840 war es, als der Heimatdichter Zuccalmaglio ein mährisches Lied ins Hochdeutsche übertrug. Ein Mann spricht eine junge Frau an: „Feinsliebchen, du sollst mir nicht barfuß gehn.“ Sie antwortet ihm, das sei ihr leider nicht möglich, denn: „Wie sollte ich denn nicht barfuß gehn, hab keine Schuh ja anzuziehn, Tra-la-la-la, Tra-la-la-la.“ Alles endet gut, und der reiche Mann nimmt die arme Maid zur Frau.

Wie wäre das wohl 2014? Feinsliebchen 2.0 lebt in einem blitzblanken kleinen Land, in dem alles geregelt ist. Selbst auf den Müllcontainern bei ihr im Hof kleben lustige Piktogramme – ein keckes Strichmännchen, das sich gar zu neugierig in die Tonne beugt: Vorsicht, Verletzungsgefahr, kleines Männlein! Auch sie hat kaum Geld, aber natürlich trägt sie Schuhe, denn es ist wirklich alles geregelt, und ihr steht ein exakt berechneter Betrag für Bekleidung zu (32,85 Euro) – nach der „Verordnung zur Bestimmung des für die Fortschreibung der Regelbedarfsstufen nach § 28a des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch maßgeblichen Prozentsatzes“. Auch ein Kurzwort gibt es dafür: Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung.

Keine Schuhe, das wäre ja immerhin mal ein origineller Ansatz für ein Gespräch, denn mit den Schuhen, die sie trägt, wird ein Mann sie ohnehin kaum beachten. Wenn er ein besonders grober Kerl ist, vor allem in einer Gruppe von Männern, ruft er ihr unter Umständen sogar noch nach, dass ihre Klamotten hässlich sind.

Sie hat das Alleinsein so satt. Irgendwo müssen doch gescheite Männer sitzen, die sie mögen, wie sie ist. Onlinedating? Irgendwie trostlos, daher sagt sie sich: „Volkshochschule! Da gehen erwiesenermaßen die Leute nicht nur hin, um was zu lernen, sondern auch, um Kontakte zu knüpfen.“ Sie entscheidet sich für einen Rumänischkurs, aber so ein Mist, den gibt es leider nur in Charlottenburg und Pankow. Dann also doch mal wieder eine Monatskarte, die hat sie sich sonst öfters mal gespart, sie muss ja nirgendwo so dringend hin, dass sie es nicht auch gleich bleiben lassen könnte. Der Kurs kostet ermäßigt 73,20 Euro, die nicht in Raten gezahlt werden können. Das ist für guten Sprachunterricht wirklich nicht viel. Zwar reichen die 1,50 Euro/Monat für Bildung aus dem Regelsatz nicht, kein Problem, stockt sie sie eben aus dem Topf für Freizeit, Unterhaltung und Kultur auf, denn sie möchte wirklich etwas Neues lernen, und insgeheim hofft sie auch schon darauf, jemanden kennenzulernen. Sie meldet sich an und freut sich sehr auf den ersten Termin.

Männer zwinkern

Leider sagt der Kursleiter ganz unbedacht beim Herumreichen der Teilnehmerliste: „Ach, Sie waren das mit der Ermäßigung“, was die anderen gleich interessiert. Sie erfahren, dass sie das Doppelte zahlen (was für guten Sprachunterricht übrigens auch nicht viel ist), sind aber schon etwas beleidigt und distanziert.

Doch neben Feinsliebchen 2.0 setzt sich ein richtig netter Mann. Für wie viele Kurstermine reichen eigentlich ihre guten Kleidungsstücke? Worüber sie sich so Gedanken machen muss, das ärgert sie ungemein. Aber was nichts kostet, ist Augenbrauenzupfen. Ihre Nachbarin hat versprochen, sie in diese Kunst einzuweisen.

Bald schon verabreden der Mann und sie, dass sie sich vor jedem Unterricht im Café zum Lernen und Plaudern treffen (7,74 Euro/Monat hat sie dafür). Das Plaudern ist schwierig, denn eigentlich spricht nur er, die meiste Zeit davon über seine Arbeit. Sie steuert bei, was sie früher getan hat, und erzählt dann, was sie gerade so liest. Direkt vom Fernsehprogramm anzufangen erscheint ihr zu hartzig. Obwohl sie wirklich viel fernsieht, denn das belebt ihre Wohnung mit Stimmen und bewegten Bildern. Käme der nette Mann doch mal vorbei! Da könnte er sehen, wie schön sie es sich gemacht hat.

Stattdessen stimmen Klischees eben manchmal doch: Ihr zwinkern bloß die Männer zu, die mit Bier vor dem Supermarkt stehen und offensichtlich eine Antenne dafür haben, dass sie eigentlich zu ihnen gehört. Obwohl sie doch ihren Alkohol allein zu sich nimmt und die Flaschen in der Dunkelheit entsorgt. Niemand soll ihr nachsagen können, dass sie sich gehenlässt. Aber es ist ihr eine Freude, jeden Monatsanfang etwas Rotwein zu besorgen. Das ist etwas so ganz anderes als das Bier der Männer. Den Wein, denkt der Kassierer sicher, trinkt sie mit ihrem Mann vor dem Kamin, und bei der Vorstellung träumt sie sich weg, gewinnt im Lotto und mietet sich ein Ferienhäuschen am Meer, in das sie sicher nicht allein fahren wird. Und wenn sie dann allein ihren Wein trinkt, ist ihr ganz subversiv zumute, denn in dem Regelsatz (138,82 Euro, wieso eigentlich 82, warum nicht 83, wer rechnet so etwas aus?) steht doch ausdrücklich „Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke“, aber wer sind die denn, dass sie ihr wie einer Erstklässlerin auch noch vorschreiben wollen, ob und wie sie sich auch mal für einen Abend ausschalten kann oder, meinetwegen, auch zugrunde richtet; das kommt ihr manchmal vor wie das Normalste der Welt.

Beim nächsten Treffen mit dem netten Mann sagt der ihr plötzlich, wie klasse sie doch sei, es imponiere ihm ungeheuer, wie sie trotz ihres Hartz‘ (sag doch gleich Krebs, denkt sie) so positiv sei, ein richtiger Kumpel, und wie sie das schaffe, so selbstbewusst und einfach, aber dennoch mit Würde aufzutreten. Er traue sich jetzt einfach mal, ihr zu sagen, dass er totaaaal verliebt in eine Kollegin sei, ob er mal erzählen dürfe?

Er darf, natürlich darf er, und sie erfährt, dass diese Frau super aussieht, wahnsinnig gepflegt ist und tatsächlich an ihn Signale aussendet. Er umarmt sie nach dem Gespräch und sagt, sie sei die beste Freundin, die man sich denken könne.

Am Abend zu Hause weint sie eine Weile, sie denkt, dass es halt so ist, die Angelina eben den Brad bekommt und sie das, was ihr zusteht. Am nächsten Tag zwinkert sie vor dem Supermarkt den Männern, die sind ja eigentlich auch ganz in Ordnung, einfach mal zurück. Blöde Kuh, schimpft sie sich, was hast du erwartet? Das, was du zu bieten hast, nämlich „Schatz, lass uns eine Bedarfsgemeinschaft bilden“ und andere, nicht nur finanzielle Abhängigkeiten, ist ja nun wirklich nicht das, was Lust auf mehr macht.

Zum großen Glück hat sie noch Bekannte und Freunde von früher, den Kontakt hält sie aufrecht. Darunter ist eine, mit der sie richtig gut reden kann und die sich auch mal Gedanken macht. Ganz bemerkenswert findet sie, dass der Freundin aufgefallen ist, dass, wenn von Armut Betroffene über ihr Leben erzählen, sie sehr oft „meine Freunde“ oder „meine Bekannten“ sagen, aber kaum je über Liebe gesprochen wird.

Sie versucht ihr zu erklären, warum das ihrer Meinung nach so ist. Jedenfalls aus der Perspektive einer älteren Frau, die sie als geradezu gesegnet empfindet im Vergleich zu der Jüngerer. Das kann sie sich schon gar nicht mehr vorstellen und will das auch nicht. Erste Liebe, Kinder, all das.

Krähen rufen „haaar-tz“

Danach erzählt sie noch vom Rumänischkurs und dass sie nächstes Semester wieder dabei ist, der Mann aber nicht, er fährt im Mai mit der Kollegin in den Urlaub.

Gib nicht auf, heißt auf Rumänisch „Nu renunţa“. Werde ich auch nicht, sagt sie der Freundin. Aber sie lügt. Wie so oft in letzter Zeit.

Denn vor anderen als Nörglerin oder gar zu traurig dazustehen ist ihr zuwider. Aber tief innen weiß sie doch, dass das nichts mehr wird mit ihren Träumen, dass das wohl auch so gewollt ist, dass das ein ganz perfider Plan war, der vollständig aufging, dass die SPD ein Fleißkärtchen kriegt für ihre Agenda 2010, sie „sozial schwach“ geschimpft wird, dabei ist sie finanziell schwach und über und über sozial, dass sie darum nicht mal mehr den Elan hat, sich irgendwo zu organisieren, sie ist doch froh, wenn sie es ohne Heulen abends ins Bett schafft, und dass die Krähen, das hört sie schon seit Langem, ihr „haaar-tz-haaar-tz“ hinterherrufen.

Sie sitzt da mit ihren sorgsam gezupften Augenbrauen, kommt sich lächerlich vor und lächelt der Freundin zu. Nur keine Blöße geben. Tra la-la la.

Dieser Text ist von den Erlebnissen der Autorin und denen ihrer Freunde inspiriert