KOLLEKTIVSCHULD SERBIENS – MIT EINEM FÜNKCHEN WAHRHEIT
: Ohne Aufarbeitung keine Anerkennung

Dass die Serben als „Volk die Schuld“ an der Lage im Kosovo hätten, ist eine unglückliche Äußerung zur Kollektivschuld – wenn sie tatsächlich so gefallen ist, wie die serbischen Diplomaten behaupten. Für einen hochrangigen Diplomaten und UN-Chefunterhändler gehört sie sich nicht. Außerdem gibt sie der serbischen Führung die Gelegenheit, die Unparteilichkeit des Finnen Martti Artisaari in Frage zu stellen. Der eigenen Öffentlichkeit wird nun scheinbar bewiesen, dass sich wieder einmal die gesamte Welt gegen die serbische Nation verschworen hat.

Die empörte Kritik zeigt jedoch auch, wie nervös Belgrad ist. In der UN scheint sich die Waage der kosovo-albanischen Seite zuzuneigen. Der serbischen Führung hat es nicht gerade Sympathien bei den internationalen Institutionen eingebracht, dass sie mit der Abspaltung der serbisch dominierten Teilrepublik in Bosnien und Herzegowina droht, wenn der Kosovo unabhängig würde, und dass sie sich in den Detailverhandlungen über das Kosovo unbeweglich und unversöhnlich zeigt. Ganz zu schweigen davon, dass sie die wichtigsten Kriegsverbrecher des bosnischen Krieges, Radovan Karadžić und Ratko Mladić, immer noch nicht ausgeliefert hat. Die Meinung, Serbien habe die Kriege der 90er-Jahre verloren und müsse deshalb mit den Konsequenzen leben, gewinnt in der internationalen Diplomatie immer mehr an Boden.

Würde die serbische Gesellschaft allerdings ernsthaft darüber diskutieren, warum ihre Regierungen seit der Annektion des Kosovos im Jahre 1912 die kosovo-albanische Mehrheitsbevölkerung unterdrückt hat, wäre der Wertung des UN-Chefunterhändlers der Boden entzogen. Ein Land, das sich seinen historischen Fehlern stellt, hätte es sicherlich leichter, verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Da dies alles aber nicht geschieht, zeigt die serbische Gesellschaft und nicht nur ihr politisches System, dass sie lieber Illusionen und den althergebrachten Ideologien nachhängt, als den Ernst ihrer Lage zu begreifen.

Und so gesehen hat Martti Artisaari nicht ganz Unrecht. ERICH RATHFELDER