Freigesprochen und trotzdem im Gefängnis

Erst des „Geheimnisverrats“ angeklagt, wird der chinesische Journalist Zhao Yan nun wegen Betrugs verurteilt

PEKING taz ■ Prozesse, in denen die Anklage auf Verrat von Staatsgeheimnissen oder Gefährdung der Staatssicherheit lautete, endeten in China bislang immer schlecht. Von Schuldvorwürfen gerichtlich freigesprochene Dissidenten hat es im rigorosen KP-Staat nie gegeben. Insofern war das gestrige Urteil gegen den chinesischen New York Times-Mitarbeiters Zhao Yan durchaus eine Überraschung – denn Zhao Yan wurde vom Vorwurf des Verrats von Staatsgeheimnissen freigesprochen. Sein Pekinger Rechtsanwalt Mo Shaoping konnte sich gestern an keinen Freispruch dieser Art in China erinnern.

Frei kommt Zhao dennoch nicht: Wegen Betrugs wurde er zu drei Jahren Haft verurteilt. „Man kann weder von einer Niederlage noch einem Sieg sprechen“, sagte Mo gestern nach der Urteilsverkündung gegenüber der taz. Doch freue er sich über den Freispruch in Sachen Geheimnisverrat. Zhao hätte sonst mit einer Haftstrafe von mindestens zehn Jahren oder der Todesstrafe rechnen müssen, sagte Mo der taz. Zugleich bedauerte der Anwalt, dass Zhao trotz vieler Unklarheiten und fehlender Beweise zu drei Jahren Haft verurteilt wurde. Das Gericht habe das Prinzip der Unschuldsvermutung missachtet.

Mit der Verurteilung wegen Betrugs habe das Gericht der Staatsanwaltschaft eine Blamage ersparen wollen, kommentierte der Rechtsberater der New York Times, Jerome Cohen. Da der 44-jährige Zhao bereits im September 2004 festgenommen wurde, kann er in einem Jahr mit seiner Entlassung rechnen.

Zhaos Fall war in den letzten Jahren nicht nur Gegenstand zahlreicher wütender Kommentare der New York Times gewesen. Er beschäftigte zahlreiche Diplomaten in Peking und Washington und galt als besonders durchsichtiger Testfall für Chinas offiziell immer wieder vorgebrachten Bekenntnisse zum Rechtsstaat.

Zugleich geriet der Fall Zhao zum Gradmesser für die Freiheit ausländischer Korrespondenten in China, denn belangt wurde Zhao als Mitarbeiter der New York Times, der er angeblich Staatsgeheimnisse über den bevorstehenden Abtritt von Expräsident Jiang Zemin als Militärchef im September 2004 verraten haben sollte. Damals hatte die New York Times korrekt vorab gemeldet, dass Jiang von seinem Militärposten zurücktreten werde, was in China noch als Staatsgeheimnis galt. Anschließend hatte die Zeitung immer wieder beteuert, dass Zhao nicht für die Meldung verantwortlich war. Doch selbst wenn er es gewesen wäre: Noch nie zuvor hatte die chinesische Staatsanwaltschaft Mitarbeiter der westlichen Medien in China wegen Geheimnisverrats angeklagt.

In dieser bisher einmaligen Verquickung des Prozesses mit der westlichen Medienarbeit in China mag der Grund für Zhaos teilweisen Freispruch liegen. Denn eine schärfere Verurteilung hätte die westliche Medienberichterstattung über China von Grund auf in Frage gestellt, ist doch fast jeder Korrespondent auf die unvoreingenommene und solidarische Hilfe chinesischer Mitarbeiter angewiesen.

GEORG BLUME