Verschiebebahnhof

Bahn gibt Lehrstellen an Teilnehmer einer Warteschleife für Geringqualifizierte. Nachteil für aktuelle Bewerber

Herz: „Die Absolventen des Praktikums sind bei der Bewerbung im Vorteil“

BERLIN taz ■ Engagement, Motivation und Offenheit. Das erwartet die Deutsche Bahn von ihren Praktikanten. Das Besondere daran: Viel mehr erwartet sie nicht. Die Deutsche Bahn bietet ein Qualifizierungsprogramm für Jugendliche, die „die erforderliche Ausbildungsreife“ noch nicht mitbringen. 360 Jugendliche haben gestern ihr Abschlusszeugnis für das Praktikantenprogramm „Chance plus“ erhalten. 70 Prozent von ihnen werden jetzt von der Bahn übernommen – auf reguläre Ausbildungsplätze der Bahn. Das heißt: Die aktuellen Bewerber gucken in die Röhre.

Das Projekt ist Teil des 2004 vereinbarten Pakts für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs zwischen Wirtschaft und Bundesregierung. Darin sagte die Wirtschaft zu, 25.000 Plätze jährlich für betrieblich durchgeführte Einstiegsqualifikationen bereitzustellen.

Die von verschiedenen Firmen angebotenen Praktika sollen den Berufseinstieg für diejenigen leichter machen, die keine Ausbildungsstelle bekommen haben. Die Praktikumsstellen sollen sich dabei so weit wie möglich an die bestehende Ausbildung anlehnen. So sollen die Jugendlichen in den Beruf hineinwachsen und wenn möglich „kleben bleiben“, sagte Ute Brüssel, Sprecherin des Industrie- und Handelskammertages, der taz. Das Praktikum sei darauf ausgerichtet, dass die Jugendlichen danach direkt in die Ausbildung übernommen werden. „Wenn die Jugendlichen übernommen werden und eine Ausbildung beginnen können, wird ihnen das Praktikum als Ausbildungszeit angerechnet“, so Brüssel.

Auch in diesem Jahr will die Bahn wieder mit einem Qualifizierungsprogramm für über 400 Jugendliche starten. Dabei wendet sie sich vor allem an Haupt- und Realschüler, die keinen Ausbildungsplatz bekommen haben. Ein Jahr lernen die Jugendlichen das Berufsleben bei der Bahn kennen – und sollen nebenbei auch ihre schulischen Leistungen und sozialen Kompetenzen verbessern.

Die Absolventen können sich dann regulär auf einen der etwa 8.200 Ausbildungsplätze bei der Bahn bewerben. Über 70 Prozent von ihnen wurden in den letzten beiden Jahren übernommen. Neue Ausbildungsplätze hat die Bahn für sie aber gar nicht geschaffen. „Die Absolventen haben bei ihrer Bewerbung den Vorteil, dass wir sie kennen“, sagte Uwe Herz, Sprecher der Deutschen Bahn, der taz. „Wenn wir einen guten Eindruck von ihnen haben, haben sie natürlich bessere Chancen als die anderen Kandidaten.“ Für die anderen Bewerber steigt so die Konkurrenz. „Die Bewerber, die keinen Ausbildungsplatz bekommen haben, können sich dann auch bei ‚Chance plus‘ bewerben“, so Herz.

Angerechnet wird das Praktikum den Jugendlichen in der Ausbildung aber nicht. Es verbessere dafür aber allgemein ihre Chancen auf einen Ausbildungsplatz, nicht nur bei der Bahn, meint Herz. Er versichert, dass man sich zu dieser Form von Praktika vor allem aus gesellschaftlicher Verantwortung entschieden habe. Die Kosten für das Qualifizierungsprogramm trägt die Bahn. Ein Jahr hat sie in die Jugendlichen investiert und sie in ihren Betrieb eingelernt – damit hat sie sich qualifizierte Bewerber selbst geschaffen.

SOPHIE HAARHAUS