Und weiterhin kein Sorry aus Berlin

Mitschuld am Fall Kurnaz? Die Bundesregierung lässt ihre Unschuld verkünden, und die Grünen verweisen auf den BND-Ausschuss

BERLIN taz ■ Nur wenige Sätze ließen sich die Verantwortlichen in Berlin gestern zum Fall Kurnaz entlocken – von Selbstkritik keine Spur. „Die Bundesregierung hat sich nichts vorzuwerfen“, sagte Vizeregierungssprecher Thomas Steg. Er sehe nicht, dass sich „diese Bundesregierung veranlasst sehen müsste, sich für die Entscheidungen der Vorgängerregierung zu entschuldigen“. Im Übrigen habe die frühere rot-grüne Bundesregierung „immer sehr wohlüberlegt“ und nach „gewissenhafter Einschätzung des Falles“ gehandelt, sagte Steg, der auch schon unter Rot-Grün Regierungssprecher war.

Diese Einschätzung wollte der grüne Geheimdienstkontrolleur Christian Ströbele nicht teilen. Es gebe „viele Unklarheiten“ im Fall Kurnaz, sagte er der taz. „Warum haben BND und Regierung damals so gehandelt, und wer trägt dafür konkret die Verantwortung?“ Der BND-Untersuchungsausschuss im Bundestag müsse dies klären. Er wisse nicht, worüber der damalige Kanzleramtschef und heutige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) informiert gewesen sei. Der grüne Exaußenminister Joschka Fischer habe sich „mehrfach um Kurnaz gekümmert“, das Auswärtige Amt habe „immer wieder versucht, zu Kurnaz Kontakt zu kriegen. Bis Januar 2006 vergeblich.“ Mit BND-Aktivitäten sei Fischer nicht befasst gewesen. Daher, so Ströbele, „gehe ich davon aus, dass er von dessen Tun nichts wusste“.

Die Bremer Grünen – die sich stets öffentlich für Kurnaz verwandt und die Haltung der schwarz-roten Landesregierung angeprangert hatten – verwiesen ebenfalls auf das Fehlen von Informationen über die Rolle der rot-grünen Bundesregierung. „Ich frage mich auch, wer da was wusste“, sagte die Fraktionschefin Karoline Linnert der taz zur Frage der Mitverantwortung von Rot-Grün. Sie könne aber „nicht auf Vermutungen hin bei Joschka Fischer anrufen“. Sollten sich Grünen-Politiker im Fall Kurnaz „Fehler vorzuwerfen haben, müssen die natürlich eins auf den Deckel kriegen“, forderte sie. Schließlich würden für ihre Partei besondere Ansprüche in Fragen der Menschenrechte gelten.

Der Grünen-Europaabgeordnete Cem Özdemir begrüßte in einer Pressemitteilung die „überfällige“ Freilassung von Kurnaz, ging aber mit keinem Wort auf die Vorwürfe an die frühere rot-grüne Bundesregierung ein. Stattdessen forderte er, Berlin müsse sich für die Schließung von Guantánamo einsetzen.

Der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Wolfgang Neskovic, kritisierte die Reaktion der Bundesregierung als „kaltschnäuzig“. Der BND-Untersuchungsausschuss müsse die politische Verantwortung für das Martyrium von Kurnaz klären. Im Blick seien vor allem der frühere BND-Chef und heutige Innenstaatssekretär August Hanning, der frühere Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt und heutige BND-Chef Ernst Uhrlau sowie Außenminister Steinmeier. „Wer dieses Martyrium politisch und moralisch zu verantworten hat“, sagte Neskovic, „der kann nur noch zurücktreten.“

ASTRID GEISLER, LUKAS WALLRAFF