„Wir sind alle junge Alte“

GENERATION 60+ In Wennigsen südlich von Hannover entsteht ein gemeinschaftliches Wohnprojekt für Menschen über 60. Bernd Tempus wird einer der Bewohner sein

■ lebt seit über 30 Jahren in Wennigsen. Bei der Planung des Wohnprojekts war er von Anfang an dabei. Foto: privat

INTERVIEW EMILIA SMECHOWSKI

taz: Herr Tempus, was hat Sie daran gereizt, mit 62 Jahren ein Wohnprojekt zu planen?

Bernd Tempus: Die Philosophie dahinter: Wir alle wollen nicht allein, sondern in der Gemeinschaft alt werden. In einer Gemeinschaft, die sich kennt und bereit ist, sich gegenseitig unter die Arme zu greifen. Wir sind fast alle Rentner, haben viel Zeit für gemeinsames Kochen, Sport, Kultur, und so weiter. Wir haben ja nie wie die Jüngeren in WGs gewohnt. Dieses gemeinschaftliche Wohnen ist für uns also recht neu und aufregend.

Die Planungsphase bei einem Wohnprojekt zehrt ja häufig an den Kräften …

Sicher, aber sie macht auch Spaß. Mir gefällt es, dass ich im Vorfeld mitgestalten kann. Wo kommt der Fahrstuhl hin? In welche Himmelsrichtung bauen wir? Wie wollen wir die Innenräume und den Garten gestalten? Gerade hat der Bürgermeister unsere Bauvoranfrage genehmigt, jetzt haben wir grünes Licht und können anfangen konkret zu planen. Die Architekten bauen letzten Endes das, was wir wollen – wenn es sich finanzieren lässt.

Wie sind Sie an das Grundstück gekommen?

Eigentlich sollte hier mal ein Altenheim gebaut werden, was jetzt mitten im Dorf steht. Die Gemeinde musste hier aber trotzdem ein Angebot für ältere Menschen realisieren, da haben wir zugeschlagen. Die Lage ist perfekt: Wir wohnen im Grünen, haben aber die direkte Anbindung nach Hannover.

Gibt es denn jemanden unter Ihnen, der nicht mehr so fit ist und ärztlich betreut werden muss?

Nein, das ist mir wichtig zu betonen: Das ist kein betreutes Wohnen. Wir sind alle junge Alte, sozusagen.

Was passiert denn aber, wenn die Alten irgendwann richtig alt werden?

Da greift eben unsere Philosophie: Wir helfen uns gegenseitig, solange es möglich ist. Es kann immer mal passieren, dass man im Winter ausrutscht und sich ein Bein bricht. Wenn irgendwann ärztliche Versorgung nötig ist, muss sie dann von außen kommen.

Haben Sie manchmal Ängste oder Zweifel?

Ach, sicherlich. Das Ganze ist doch eine Achterbahnfahrt. Es gibt immer mal Momente, wo man denkt, das kann alles nicht klappen, zum Beispiel, wenn jeder etwas anderes will. Rückschläge gibt es immer wieder.

Kann es nicht sein, dass einem diese Nähe auch irgendwann zu viel wird?

Sicher, ja. Es gibt erstmal wenig Distanz und Anonymität. Wir haben zum Beispiel anfangs beschlossen, uns zu duzen, um Schranken abzubauen. Das führt aber auch dazu, dass man sich schneller die Meinung sagt. Das machen Nachbarn ja normalerweise nicht. Es herrscht eine Gruppendynamik, aber das ist normal. Man wird immer seine Tür zumachen können.

Haben Sie und Ihre Frau mal daran gedacht, doch in Ihrer Mietwohnung zu bleiben?

Nein, überhaupt nicht. Kurzfristig wäre es bequemer, aber jetzt können wir in der Gemeinschaft alt werden.