Peter Neururer
: Der Lautsprecher-Effekt

Vor der Saison galt der Trainer von Hannover 96 Peter Neururer wie immer als aussichtsreicher Kandidat auf die erste Trainerentlassung der Bundesliga. Mit einer Quote von 7:1 belegte der Mann mit dem anachronistischen Schnauzer hinter Favorit Klaus Augenthaler den zweiten Platz bei „bwin.de“.

In den ersten drei Saisonspielen haben Neururer und seine Equipe bisher reichlich Glücksgefühle bei denen ausgelöst, die ihr Geld auf den letzten Lautsprecher der Liga gesetzt haben. Im Laufe der Woche könnten bereits die Kassen klingeln. Und wer das Spiel in der AWD-Arena gegen Aufsteiger Alemannia Aachen verfolgt hat, der wurde das Gefühl nicht los, dass einige Spieler in Reihen der 96er selbst einen Wettschein mit dem Namen ihres Trainers ausgefüllt haben.

Neururer saß in sich zusammengesunken mutterseelenallein auf der Bank und verfolgte mit versteinerter Miene wie sein Team auseinander brach. Während das Publikum nach anderthalb Stunden des Grauens den Abpfiff verlangte, rang Neururer vor den Kameras des Bezahlsenders arena sichtlich um Fassung. Der Saisonstart an der Leine ist gründlich daneben gegangen. Drei Spiele. Null Punkte. 2:11 Tore. Tabellenletzter.

Hannover 96 ist mittendrin im Sog des Neururer-Effekts. Wo immer er auftauchte hatte er – meist als schnelle Lösung, als Feuerwehrmann, der eine Mannschaft in aussichtsloser Lage übernimmt – schnell und überraschend Erfolg. Anfangs tragen Auftreten und Charisma des Motivationskünstlers eine Mannschaft von allein. Egal ob in Bochum, Köln oder letztes Jahr in Hannover. Der 51-Jährige lädt die Last auf seine Schultern, zieht das mediale Interesse mit forschen und unverwechselbaren Ansprachen auf sich und gewinnt so die Sympathien der Fans. Dabei begibt er sich jedoch häufig auf eine gefährliche Gratwanderung. Denn Neururer polarisiert wie kaum ein zweiter. So sind seine Vorzüge im Falle eines Misserfolgs gleichzeitig seine Schwächen, fällt das System Neururer ebenso schnell auseinander.

Auch bei Hannover hat er das Team anfänglich gepusht und durch die Liga katapultiert. Nun ist der letzte Entertainer der Bundesliga Saison übergreifend seit zehn Spielen sieglos. Der Neururer-Effekt hat sich mit einer gefährlichen Eigendynamik längst ins Gegenteil verkehrt. Von Euphorie keine Spur. Seine Sprüche haben an Witz und Souveränität verloren, wirken heute wie das Echo der rhetorischen Blaupausen aus Bochum oder Berlin. Dort ist Neururer gefeiert worden, gescheitert, abgestiegen. Zur Person Neururer gehört aber auch, dass er nach solchen Rückschlägen immer wieder aufgestanden ist. Bald wird er seinen Schnurrbart in einer anderen Stadt bis zur Entlassung in die Kameras halten, Sprüche klopfen und Sympathien gewinnen. Wollen wir wetten?Lucas Vogelsang