BUCHENWALD: VERTRIEBENENSCHICKSALE PASSEN NICHT ZUM KZ-GEDENKEN
: Ein Dank dem buhenden Publikum

Von einem Ministerialdirektor, der in Vertretung seines Ministers eine Rede zur Eröffnungsveranstaltung des Weimarer Kunstfests mit dem Motto „Gedenken an Buchenwald“ hält, erwartet kein Mensch tiefschürfende Analysen oder rhetorische Glanzlichter. Etwas Einfühlungsvermögen in den doppelten Erinnerungsort Weimar/Buchenwald, in die Konfrontation von klassischem Weimarer Humanitätsanspruch und mörderischer Praxis des „Dritten Reiches“ im dicht bei Weimar gelegenen Konzentrationslager hätte ausgereicht.

Stattdessen hat sich der Stellvertreter des Kulturstaatsministers, der Historiker Hermann Schäfer, weitschweifig über das Schicksal der deutschen Vertriebenen nach 1945 ausgelassen und das KZ Buchenwald in seiner Rede überhaupt nicht behandelt, ehe ihn der Protest des Publikums zum vorzeitigen Abbruch zwang. Später entschuldigte sich Schäfer, ihm sei aufgegeben worden, zum Thema Erinnerungskultur zu sprechen. Schließlich war er als Vorsitzender der Bonner Stiftung „Haus der Geschichte$ an deren fast überall positiv gewürdigter Ausstellung „Flucht, Vertreibung, Integration“ maßgebend beteiligt gewesen. Sein Thema also, über das er referiert hat.

Schierer Fachidiotismus? Blindheit für den Ort, für das Publikum? Wohl etwas mehr. Wer bei der Gelegenheit einer Gedenkfeier für Buchenwald derart deutlich das Thema verfehlt, muss sich gefallen lassen, nach der unerklärten Botschaft seiner Rede gefragt zu werden. Diese Botschaft lautet: Zwischen dem Schicksal der Nazi-Opfer und dem Schicksal der Vertriebenen gibt es keine grundlegenden Unterschiede, denn das subjektive Leid ist in beiden Fällen das gleiche.

Es ist dieses Gleichheitszeichen, das die Geschichte einebnet, jede Frage nach Ursache und Folge unmöglich macht. Solches Denken ist auch den Initiatoren des „Zentrums gegen Vertreibungen“ nicht fremd: Es gilt, mittels Brechstange in die Konkurrenz der Opfer einzutreten. Nur dass Schäfer nicht als Vertriebenenfunktionär, sondern als Emissär der Bundesregierung auftrat, mithin in offizieller Mission. Ein Dank dem Publikum, das dieser Zumutung höchst unfeierlich die einzig mögliche Antwort erteilte. CHRISTIAN SEMLER