Kaum mehr als ein Phantom mit rotem Bart

Über das Leben des langjährigen Guantánamo-Häftlings Murat Kurnaz ist wenig bekannt – auch nicht, was er 2001 in Pakistan getan hat

BREMEN taz ■ Anfangs hieß er nur Murat K. Der Boulevard nannte den im US-Gefangenenlager Guantánamo inhaftierten, in Deutschland geborenen Türken schnell „den Bremer Taliban“. Der 24-Jährige ist ein Phantom, von dem man bislang kaum mehr weiß, als dass er sich vor fünf Jahren während seiner Schiffbauerlehre einen Vollbart zulegte. Das allerdings aus religiösen Gründen: Schon unsere Propheten trugen Bärte, hatte der damals 19-Jährige seiner Mutter die neue Haartracht erklärt.

Wenig später flog er dann nach Pakistan – eine Reise, die er als Pilgerfahrt vor der Heirat verstanden wissen wollte. Wobei es auch bei den Nachbarn Gerüchte gab, es sei über diesen Trip zum Streit zwischen Eltern und Sohn gekommen – weil der geplant habe, sich im „Land der Reinen“ zum Kämpfer ausbilden zu lassen. Ein Mitschüler gab seinerzeit zu verstehen, sein im Arbeiterstadtteil aufgewachsener „Freund“ sei immer „ein ganz normaler Typ“ gewesen, habe sich dann aber „verändert“. Und immerhin: In der örtlichen Kuba-Moschee hatte Murat K. Hausverbot. Weil er „manchmal mit dem afghanischen Anzug“ gekommen sei, wie ein Sprecher des Milli-Görüs-Gebetshauses bekannte. Daraufhin hatte er sich der Abu-Bakr-Moschee in der Bremer City angeschlossen. Das Gotteshaus geriet im Frühjahr 2003 in die Schlagzeilen: Der 17-Jährige Ali Marwan T. hatte einen Bus entführt und die Insassen als Geiseln genommen. Einen islamistischen Hintergrund hatte diese Tat jedoch nicht, stellte das Jugendschöffengericht fest.

Das Vertrauen seiner Glaubensbrüder am Hindukusch hat Murat K. trotz Prophetenbartes allerdings nicht erworben: Sie scheinen ihn für einen Spitzel gehalten zu haben. Jedenfalls wurde er gegen ein Kopfgeld im Spätherbst 2001 an US-Soldaten ausgeliefert. Bei der Durchsuchung von Murat K.s Gepäck fanden sie „ein Rückflugticket und Mitbringsel“, so sein amerikanischer Anwalt Aher Bazmy vier Jahre später. Trotzdem galt er den Militärs fortan als „feindlicher Kämpfer“.

Die Verdachtsmomente gegen den Rückkehrer beruhten hauptsächlich auf einer anderen Aussage: Sein Freund Selcuk B. wollte ihn seinerzeit nach Pakistan begleiten. Ausgerechnet dessen Eltern hatten zu Protokoll gegeben, ihr Sprössling fahre mit terroristischen Absichten in den Orient: Über Pakistan wolle er nach Afghanistan reisen und dort gegen die Amerikaner kämpfen. Nicht deshalb, sondern weil er eine Geldstrafe wegen fahrlässiger Körperverletzung noch nicht bezahlt hatte, wurde Selcuk B. am Flughafen gestoppt. Die Ermittlungen führten zu keinem Ergebnis: Nachdem die Bundesanwaltschaft 2002 keinen Anfangsverdacht wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung feststellen konnte, landeten die Akten wieder in Bremen. Das Verfahren gegen B. wurde nach dessen Vernehmung eingestellt, das gegen Murat K. ruhte – wegen Abwesenheit.

„Hoffentlich hat er nichts mit solchen Leuten zu tun“, sagte Kurnaz’ Mutter kurz vor seiner Rückkehr im taz-Interview. „Hoffentlich kommt ihn keiner besuchen von diesen Menschen.“ bes