Spontane Terrorzelle

BERLIN taz ■ Die deutschen Ermittler sehen in den gescheiterten Kofferbombenanschlägen eine neue Variante des Terrorismus. Generalbundesanwältin Monika Harms sagte der ARD, bei den jungen Männern, die hinter den fehlgeschlagenen Attentaten vom 31. Juli stehen sollen, handele es sich offenbar um eine kleine Gruppe ohne feste Strukturen, die sich spontan zur Aktion entschließe. „Das ist neu, das ist aber nicht weniger gefährlich“ als der Terrorismus im Deutschland der 70er-Jahre.

Charakteristisch für eine derartige Terrorzelle wäre, dass sie losgelöst von einer übergeordneten Führung agiert und nicht in ein Netzwerk eingebunden ist. Entsprechend vorsichtig äußerten sich die Sicherheitsbehörden bezüglich einer Verbindung zu al-Qaida. Die Generalbundesanwältin will Hinweise zu al-Qaida „mit Vorsicht bewertet wissen“. BKA-Präsident Jörg Ziercke sagte, das Terrornetzwerk habe nicht mehr die operative Kraft wie zu Zeiten des 11. September. „Al-Qaida ist aber dabei, neue Zellen aufzustellen. Ob die Festgenommenen dazugehören, ist die ganz große Frage, die wir klären müssen.“

Im Computer des Verdächtigen Dschihad H. sollen Indizien auf das Terrornetzwerk hindeuten, doch dabei könnte es sich womöglich nur um den Besuch von Internetforen handeln.

Klein und spontan – eine solche neue Form des Terrorismus hätte weitreichende Folgen: Klassische Ermittlungsstrategien wären nutzlos. Denn Polizei und Geheimdienste setzen bisher da an, wo bekannte Terroristen oder Verdächtige mit unbekannten, neu rekrutierten Mitgliedern in Kontakt treten. Sie überwachen Telefonate und E-Mail-Austausch oder schleusen Spitzel ein. Doch wenn sich wenige Extremisten ohne Einfluss durch andere zur Tat entschließen, sich im Internetcafé motivieren lassen und eine Bombenbastelanleitung googeln, fehlt den Sicherheitsbehörden jeglicher Ansatzpunkt. Erst wenn die potenziellen Terroristen Material zum Bombenbau einkaufen oder Anschläge außerhalb eines kleinen Kreises ankündigen, könnten sie auffallen. Damit würde gezielte Ermittlungsarbeit Anschläge kaum verhindern können – sondern nur der Zufall oder flächendeckende Überwachung.

Gegen die Verdächtigen wird unter anderem wegen „Bildung einer inländischen, terroristischen Vereinigung“ ermittelt. Folglich gehen die Ermittler davon aus, dass die mutmaßlichen Attentäter nicht schon mit Terrorplänen- und absprachen nach Deutschland kamen, sondern erst hier ihr Vorhaben fassten. Zu einer terroristischen Vereinigung im Sinne von Paragraf 129a Strafgesetzbuch müssen mindestens drei Menschen gehören, die sich für längere Zeit zur Planung von Attentaten zusammenschließen. Nach dem in Kiel gefassten Youssef Mohamad E. H. und Dschihad H., der sich in der libanesischen Hafenstadt Tripoli gestellt hatte, war am Freitag ein dritter Terrorverdächtiger in einem Konstanzer Studentenwohnheim festgenommen worden: Gegen den 23-jährigen Syrer Fadi A. S. erließ der Bundesgerichtshof am Wochenende Haftbefehl.

Fadi A. S. recherchierte der Bundesanwaltschaft zufolge im Internet nach Anleitungen zum Bombenbau und half seinen mutmaßlichen Mittätern bei der Flucht in den Libanon. Dort wird seit Freitag auch noch ein vierter Verdächtiger festgehalten. Dschihad H. soll ihn ebenso wie Fadi A. S. in einem Teilgeständnis belastet haben.

BKA-Chef Ziercke sagte, eine akute Anschlagsgefahr für Deutschland bestehe zunächst nicht mehr. „Die aktuellen Festnahmen haben dazu geführt, dass die Gefahrenspitze erst einmal gekappt ist.“ Generalbundesanwältin Harms hofft auf weitere Fahndungserfolge. „Ich schließe es nicht aus, dass es noch weitere Beteiligte gibt.“

GEORG LÖWISCH