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HAMBURGER SZENE VON AMADEUS ULRICHDer lustigste Taxifahrer der Stadt

Der Taxifahrer guckt über die Ränder seiner Brille und fragt: „Du kennst mich nicht?!“

Der Taxifahrer gibt Gas. „Warn mich, wenn du Bullen siehst“, sagt er. In Stellingen nahe Hagenbecks Tierpark hat er mich um acht Uhr morgens eingesammelt. Ich hatte ihm gesagt, in zehn Minuten müsse ich am Hauptbahnhof sein, weil ich den Bus verpasst habe. „Kein Ding“, sagt er. Nun ist mir übel. Das kommt davon.

Möglich, dass der Mann mit dem lässigen Seidenschal und der noch lässigeren Sonnenbrille farbenblind ist. Rot und Grün scheinen für ihn verkehrstechnisch zumindest dasselbe zu bedeuten. Wahrscheinlicher ist, dass er diese dreifarbigen Dinger bewusst ignoriert, als seien sie Straßenschmuck. Einst habe er eine Frau von Poppenbüttel bis zum Hauptbahnhof in 25 Minuten gebracht, prahlt er – dabei sei drei Kilometer die Polizei neben ihm gefahren. „Wooow“, sage ich ehrerbietig, und linse auf den Tacho; die Nadel steht gerade bei lässigen 80 Kilometer pro Stunde. Der Motor ist aber nicht zu hören. Denn der Taxifahrer kreischt inzwischen bei einem Lied mit, das aus dem Radio dudelt.

Als ich mich etwas an den Fahrstil gewöhne, merke ich, dass die Stimme aus dem Radio der Stimme im Taxi ähnelt. „Elbchaussee bis Airport, volles Leben ist dooort!“, schief und bollywoodesk; deutsch-indischer Pop mit Ohrwurm-Garantie, obendrein lokalpatriotisch. „Bist du das?“, frage ich. Der Taxifahrer hört auf zu singen, hebt die akribisch gezupften Augenbrauen, guckt mich über die goldenen Ränder seiner Sonnenbrille hinweg an und fragt: „Du kennst mich nicht?!“ Er sei bereits bei Barbara Schöneberger gewesen und beim Frühstücksfernsehen; viele Medien hätten über ihn und seine Musik berichtet.

Als wir nach ungelogen zehn Minuten, vielleicht sogar weniger, und zehn roten Ampeln, vielleicht sogar mehr, am Hauptbahnhof ankommen, drückt er mir seine Promo-Karte in die Hand, die dreimal so groß ist wie eine normale Visitenkarte. „Lovely und Monty“, steht darauf. Er schreibe alle Songs selbst, sagt er. Sein Bruder singe auch mit.

Später erfahre ich, dass er bereits in mehreren Talkshows gesessen, ein Album veröffentlicht hat und angeblich, so der NDR, der lustigste Taxifahrer Hamburgs ist. Ich sollte öfter mal den Bus verpassen.

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