„Besitz wird neu interpretiert“

LEIHEN II Den Trend zum Teilen sieht der Forscher Peter Wippermann auch als Antwort auf die Finanzkrise

■ Jahrgang 1949, ist Trendforscher und Professor für Kommunikationsdesign an der Essener Folkwang Universität.

taz: Herr Wippermann, alle reden von der „Shareconomy“. Warum ist das Teilen von Besitz plötzlich so angesagt?

Peter Wippermann: Wir haben hier eine Graswurzelbewegung, die aus einem alternativen Milieu heraus entstanden ist und die es gewohnt ist, sich zu organisieren. Man sucht nach Wegen, mit knappen ökonomischen Ressourcen optimal zu leben – ein Gegenmodell zur klassischen Warenwirtschaft also, das nicht den Besitz, sondern den Nutzen von Produkten in den Mittelpunkt stellt. Das ist auch als eine Antwort auf die Krise des Finanzmarktkapitalismus zu sehen.

Teilen als Symptom einer verunsicherten Gesellschaft?

Man kann jedenfalls beobachten, dass sich eine Gesellschaft in Krisensituationen auf die Idee der Gemeinschaft rückbesinnt. Das macht auch zum großen Teil den Charme dieser Bewegung aus: dass man das Gefühl hat, sie speise sich aus einer ideologischen Kraft. Zum anderen entdecken auch kommerzielle Unternehmen hier einen neuen Markt und erweitern ihre Geschäftsmodelle. Etwa beim Carsharing, ein Leasingmodell. Nur dass ich mir ein Auto eben nicht mehr für ein paar Monate, sondern nur noch für ein paar Stunden leihe.

Ist es nicht etwas ironisch, dass auch ein alternativer Marktansatz wie die Shareconomy auf der klassischen Warenwirtschaft basiert?

Aber Besitz wird hier ja neu interpretiert: als Voraussetzung des Teilens. Ein Bewusstseinswandel, der hochattraktiv geworden ist in einer Zeit, in der das Konzept Geld an sich massiv in Frage gestellt worden ist. Materielles verliert an Bedeutung, immaterielle Werte gewinnen.

Ich verzichte also auf Besitz und gewinne – was eigentlich?

Man könnte sagen, dass die Sinnfrage zunehmend nicht mehr an Zählbarem, sondern an Erlebbarem festgemacht wird. Zum Beispiel das Gefühl von Autonomie: Man macht sich ein Stück weit unabhängig von einer nicht mehr vertrauenswürdigen klassischen Warenwirtschaft.

Ist die Teilbewegung eine Konkurrenz zur Marktwirtschaft oder vielmehr ein Teil von ihr?

Nehmen Sie die Anfänge der Ökobewegung: Das waren Gruppen, die sich zurückzogen aus der Gesellschaft und alternative Konzepte entwickelten. Dann hat man sich professionalisiert und die Grundideen wurden von der Gesellschaft angenommen. So ähnlich ist es mit der Sharing-Bewegung: da entdecken Unternehmen deren ökonomisches Potenzial und nutzen es.

Man könnte das auch als Vereinnahmung einer alternativen Bewegung kritisieren.

Eher findet eine gegenseitige Öffnung statt. Der Aspekt des Nutzers ist: Ich verändere die Gesellschaft. Der Gedanke des Unternehmens ist währenddessen: Ich mache mehr Gewinn. Das eine wird kommerzieller und ja, verliert dafür vielleicht an ideologischer Kraft. Das andere ist kommerziell, nimmt aber dennoch sozialere Dimensionen an.

INTERVIEW: ANNA KLÖPPER