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Archiv-Artikel

Das Montagsinterview„Ich bin sogar assimiliert“

Sie ist das Rechtfertigen leid: die türkischstämmige Autorin Tizia Koese findet Kritik an deutscher Ausgrenzung nicht undankbarBLEIBEN ODER AUSWANDERN Tizia Koese ist in Anatolien geboren und in Hamburg aufgewachsen. Sie hat ihren türkischen Rufnamen abgelegt, an den Rassismus der Deutschen hat sie sich nicht gewöhnt. Jetzt hat sie einen Roman über eine Selbstmord-Attentäterin geschrieben

Tizia Koese, 47

im anatolischen Akçadag geboren, wuchs ab 1972 in Hamburg, dann in München auf. Sie studierte Philosophie, Politik und Informatik an der Hamburger Universität. Heute arbeitet sie als freie Journalistin in Bayern.

■ Für die Hamburger Landeszentrale für politische Bildung schrieb sie ein Handbuch für Zuwanderer und war Mitherausgeberin einer zweisprachigen Zeitung.

■ Ihren Roman „Granatapfelsplitter“, der gerade im Bremer Sujet-Verlag erschienen ist, stellt Koese am 23. September um 20 Uhr bei einer Lesung im „Thalia“ in der Obernstraße in Bremen vor.

Interview: HENNING BLEYL

taz: Frau Koese, haben Sie einen deutschen oder einen türkischen Nachnamen?

Tizia Koese: Mein Familienname hieß eigentlich Köseoglu. Weil das hier niemand richtig aussprechen kann, haben ihn die Hamburger Behörden mit Zustimmung meines Vaters zu „Koese“ verkürzt. Ich finde das nicht schlimm, im Gegenteil: Ich sehe nicht besonders türkisch aus und wenn ich als Frau Koese irgendwo hinkomme, werde ich für eine Deutsche gehalten.

Warum ist Ihnen das lieber?

Weil ich dann ungeschminkt die Meinungen über Migranten zu hören bekomme. Wenn es schon Rassismus gibt, dann will ich darüber Bescheid wissen.

Ist das auch der Grund, warum Sie Ihren Rufnamen von Nilgün in Tizia geändert haben?

Nein. Ich hatte es nur satt, auf dem Wohnungsmarkt benachteiligt zu sein und ich wollte den Türken-Klischees entfliehen, die auf mich herabregneten, sobald ich meinen Namen nannte. Ich habe es in Hamburg oft genug erlebt, dass mich Vermieter ausdrücklich wegen meines Namens abgelehnt haben. Es ist hart, wenn man als Person keine Chance hat, weil man auf seine Herkunft reduziert wird.

Sie beschreiben in Ihrem Buch „Granatapfelsplitter“ den Lebensweg einer Selbstmord-Attentäterin. Sie ist anatolischer Herkunft, wächst in Hamburg auf und genießt dort alle westlichen Freiheiten – bevor sie sich in Afghanistan im Umgang mit Sprengstoff ausbilden lässt. Ist das nicht ein etwas überkonstruierter Plot?

Natürlich ist das zugespitzt. Aber sehr viele Migranten sind einfach sehr frustriert darüber, wie wenig sie anerkannt werden. Die allermeisten nehmen natürlich keine Bombe in die Hand, sondern packen ihre Koffer.

Wie viele tun das?

35 bis 40 Prozent der deutschtürkischen Akademiker und Studenten wollen Deutschland verlassen, so haben es zumindest die Sozialwissenschaftler des Futureorg-Instituts 2009 in einer Studie ermittelt. 41 Prozent gaben an, sich nicht mit Deutschland identifizieren zu können. Dabei spielen auch die ungleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt eine Rolle: Der OECD zu Folge waren 2007 dreimal so viele Akademiker mit Migrationshintergrund arbeitslos wie deutschstämmige Akademiker. Aus meiner subjektiven Perspektive kann ich den Braindrain bestätigen: Sehr viele meiner Bekannten denken an eine Auswanderung in die Türkei.

Warum reist Ihre Protagonistin stattdessen nach Afghanistan?

Im Extremfall kann Ausgrenzung solche Folgen haben. Ein Roman ist fiktiv: Ich habe darin eine radikal christliche Position, die mit der Hölle droht, einer radikal islamistischen Perspektive entgegengestellt, die mit dem Paradiesversprechen winkt, weil ich die Absurdität beider Haltungen herauskristallisieren wollte. Ich selbst bin absolute Pazifistin. Aber ich kann theoretisch nachvollziehen, dass aus einem Ohnmachtsgefühl heraus Gewaltphantasien entstehen. Das ist ja gerade das Paradoxe an der aktuellen Debatte: Gerade die gut integrierten Migranten fühlen sich durch sie ausgegrenzt. Sie haben keine Lust mehr auf Deutschland. Selbst eine Intellektuelle wie Hilal Sezgin sagt, dass die Debatten à la Sarrazin sie „muslimifiziert“ hätten. Als Reaktion auf das Sarrazin-Buch schreibt sie: „Deutschland schafft mich ab.“

Sie haben vorhin gesagt, Sie wollten als Einzelperson und nicht als „Türkin“ wahrgenommen werden, zum Beispiel auf dem Wohnungsmarkt. Warum reagieren Sie jetzt „als Türkin“?

Ich kann nicht einfach nur für mich sagen: Ich werde anerkannt, und damit hat sich’s. Ich bin kein besserer Mensch, weil ich besser integriert bin. Meine Landsleute, von denen sich viele nicht gut wehren können, haben es nicht verdient, dass sie jetzt so behandelt werden! Wenn man sehr viele bildungsferne Leute als dringend benötigte Hilfsarbeiter zur Einwanderung auffordert, dann ist das Problem doch eigentlich absehbar. Schließlich sind es gerade diese Jobs, die irgendwann wegrationalisiert wurden. Man muss sich doch fragen: Wie sind die Perspektiven dieser Leute?

Wie viel trägt die türkische Community selbst zum Außen-vor-Bleiben bei?

Einiges, das will ich nicht beschönigen. Andererseits ist es auch normal, dass man „in der Fremde“ zusammen hält. Das tun die Deutschen, die sich in Alanya ein schönes Leben machen, genauso. Die setzen alles dran, um in einer muslimischen Stadt ihr Schweinefleisch zu bekommen...

... und Mallorca ist unser 17. Bundesland, deutschsprachige Zeitungen inklusive. Aber daraus entsteht kein Gewaltproblem.

Das stimmt. Natürlich muss man den türkischen Vätern und Brüdern klar machen, dass sie ihren Töchtern oder Schwestern nichts antun und keine rigiden Vorschriften machen dürfen.

In ländlichen Gebieten Deutschlands war es bis vor 30 Jahren verbreitet, ein Kopftuch zu tragen. Bei Zwangsheiraten und „Ehrenmorden“ ist es etwas länger her, aber die waren bis weit in 19. Jahrhundert hier leider ebenfalls üblich.

Hier und heute wird ein großer Unterschied gemacht, ob Gewalt von deutschen Jugendlichen ausgeht oder von türkischen. Der kriminelle Türke soll „raus“, auch wenn er einen deutschen Pass hat und damit Deutscher ist.

Hat die Sarrazin-Debatte das Klima verschlimmert?

Eindeutig. Plötzlich bin ich in der Rolle, mich rechtfertigen zu müssen. Ich war gerade auf der Party einer guten Bekannten, einer Tänzerin, da war es auch so: Wenn ich anfange, Benachteiligung oder Ausgrenzung zu kritisieren, wird mir Undankbarkeit vorgeworfen. Selbst von meinen deutschen Freunden – aufgeschlossenen, kreativen Leuten.

Ihre Familie ist 1972 vom anatolischen Akçadag nach Hamburg gezogen. Erinnern Sie sich an Ihre ersten Eindrücke?

Oh ja: Alles fühlte sich plötzlich kalt an. Ich fror und verstand die Sprache genauso wenig wie die Lebensmittel. Wie man zum Beispiel dieses fade Zeug trinken kann, das sie Mineralwasser nennen – bei uns war alles Kohlensäurehaltige gezuckert. In der Schule habe ich selbstverständlich mein Pausenbrot herum gehen lassen. Allerdings kam nichts zurück – was ich furchtbar unhöflich fand. Heute bin ich genauso egoistisch. Es ist fürchterlich, wenn man nichts kapiert, ich habe dann ununterbrochen Deutsch geübt. Wir wurden belohnt, wenn wir mit neuen Vokabeln nach Hause kamen. Dafür ist mein Türkisch mittlerweile erbärmlich.

Was war positiv?

Was ich mich erst zum Heulen gebracht hat, liebe ich jetzt: die Sprache. Thomas Mann, Nietzsche, Heidegger, Enzensberger. Und natürlich genieße ich es, mich als Frau frei verhalten zu können. Allerdings habe ich es immer wieder erlebt, und das kenne ich auch von meinen Schwestern und Freundinnen, dass mich die Eltern meiner deutschstämmigen Freunde ablehnen.

Gab es von Ihrem Vater zusätzlichen Stress?

So ist es. Er hat beide Seiten: Theoretisch ist mein Vater für Gleichberechtigung, aber praktisch hat er damit Schwierigkeiten – und eine Großfamilie, vor der er mein Verhalten rechtfertigen muss. Wir kämpfen uns da durch. Aber wo bleibt eigentlich die Anerkennung? Wir können uns integrieren wie wir wollen – angefeindet werden wir trotzdem. Dabei bin ich nicht nur integriert, ich bin sogar assimiliert.

Ihre Familie ist möglicherweise kurdischer Herkunft. Entsteht dadurch ein doppeltes Außenseitertum, sowohl in der Türkei als auch in Deutschland?

Meine Eltern weigern sich standhaft, mir zu verraten, ob ich Kurdin oder Türkin bin, weil sie diese ethnische Unterscheidung ablehnen. Das Verhältnis zwischen Türken und Kurden ist mindestens so explosiv wie die aktuelle Integrationsdebatte in Deutschland.

Die taz druckte kürzlich eine Karikatur über türkische Jugendliche im Freibad. Jemand fragt: „Warum sind die heute so ruhig?“ Und der Bademeister antwortet: „Ich hab’ 1.000 Liter Baldrian ins Badewasser geschüttet.“ Ist das rassistisch?

Aus türkischer Sicht müsste ich sagen: ja. Aber als Frau gefällt mir die Karikatur. Denn die türkischen Jungs und Männer dürfen sich wirklich wahnsinnig viel erlauben und aggressiv sein. Allerdings hat man hier auch zu viel Angst vor ihnen. Als Mann ist es vielleicht schwieriger, aber ich kann alle deutschen Mädels nur ermutigen, ihnen Paroli zu bieten – das kapieren die dann schon. Ich selber lasse mir von türkischen Männern nichts gefallen, gar nichts.

Sie leben jetzt in der Nähe des Starnberger Sees. Fühlen Sie sich in Bayern noch unintegrierter als in Hamburg?

Ja. Die Leute, die mich ja meist für eine deutsche Journalistin halten, jammern mir ständig die Ohren voll, wie schlimm die Ausländer sind – aber das ist gut so. Ich will ja wissen, wer mich nicht mag und wer mich raushaben will. Deswegen gefällt mir übrigens die Fremdenfeindlichkeit in der Schweiz viel besser als die in Deutschland: Da schwingt nichts Dubioses mit, die Schweizer sagen einfach ehrlich, dass sie vor Minaretten Angst haben – da sind sie ganz unkompliziert und nicht so komisch verdruckst. Falls ich auswandere, wäre die Schweiz ein Ziel.