IM ICC
: Hypnoteppich

Es riecht wie in meiner Kindheit

Durch Zufall bin an eine Karte für die Medienwoche geraten, einen Satellitenkongress der IFA, der im ICC stattfindet. Nun ist das ICC in Wirklichkeit kein Kongresszentrum, sondern eine Zeitmaschine. Man reist direkt in die 1970er, eine Zeit, in der gerade das Wegeleitsystem erfunden worden war – worauf man so stolz war, dass Architekten alle größeren Gebäude als bizarr verschachtelte Landschaften anlegen mussten.

Entsprechend besteht auch das ICC zum größten Teil aus Zwischengeschossen, Rampen, Gängen, Fluren, Geländern, Glastüren, Zwischenzwischengeschossen, Treppen, Foyers, Unterführungen, und Brücken. Selten kann man weiter als zwanzig Meter schauen, es ist ein Riesenlabyrinth, cremefarben verschalt und flächendeckend ausgelegt mit einem hypnotischen Teppichmuster aus hell- und dunkelgrauen Punkten.

In der Mittagspause gibt es kostenloses Retroessen für alle: Hähnchen mit Spätzle und Dosenchampignon-Rahmsauce. Angesichts der Buffetschlange weiche ich in die Pullman Lounge aus. Ich gehe eine Treppe hoch, durchquere ein Foyer, laufe durch lange Flure und mehrere Glastüren, vorbei am Salon Langenbeck, nur um am Ende in einer noch längeren Schlange zu stehen. Dafür habe ich hier einen tollen Blick auf Westberlin, das ja seinerseits in einer Art Zeitblase gefangen ist.

Nach dem Essen gehe ich zu einem der auf dem Medienwochen-Zwischengeschoss verteilten Servicewägelchen und bestelle einen Latte macchiato.

Erst im Nachhinein bemerke ich meine achtlose Ignoranz: An diesem Ort hätte ich natürlich einen muffigen Filterkaffee mit Kondensmilch trinken müssen. Bevor ich etwas daran ändern kann, ertönt ein Gong, und ich begebe mich – Brücke, Glastür, Vorraum – in Saal 4/5, wo über Netzneutralität diskutiert wird. Es riecht wie im Innenraum eines Autos aus meiner Kindheit.

MICHAEL BRAKE