Affenarschrot und in Beton

ARCHITEKTUR Skurril, komisch und polemisch erzählt der Kunsthistoriker Christian Welzbacher von den dunklen Bauten der Bunker

„Das Ziel des Monoliths ist es nicht, den Jahrhunderten zu widerstehen“, beschreibt Paul Virilio 1975 den Bunker. „Die Dicke seiner Wände deutet lediglich auf die zu erwartende Gewalt des Einschlags im Augenblick des Angriffs hin.“ Der Bunker: Ist er nicht das Produkt des Verstands, ein rationales Bauwerk zum Schutz in Zeiten des Krieges? Nein, er ist vor allem das Gebilde einer Illusion. Mit der Erschaffung dieser Architektur ersinnt der Mensch seine eigene, noch kommende Zerstörung.

„Bunker. Expeditionen zum Nullpunkt der Moderne“ heißt das neue Buch von Christian Welzbacher. Mit Pathos, Mut und Rage betritt der Kunsthistoriker darin einen nihilistischen Kreislauf. „Sie erfinden neue Bomben gegen Bunker und neue Bunker gegen Bomben und wieder neue Bomben und wieder neue Bunker und so weiter“, schreibt er.

Mit der Rationalität und Irrationalität derjenigen, die sie erdenken, nähert sich der Autor diesen dunklen Bauwerken. Seine Bunker sind widersprüchlich.

Fataler Irrglaube

Sie sind erhabene Konstruktionen des Ingenieurs, aber auch „übergewichtige Käfer an der Atlantikküste“ und architektonische Leichname, die Farbneuschöpfungen wie „Affenarschrot“ oder „Blut in Urin“ hervorbringen. Ihnen gemein ist der Beton. In diesem Baustoff materialisiert sich der Krieg und mit ihm schwingt der Krieg in die zivile Architektur hinein, bis hin zu Le Corbusiers Wallfahrtskirche Notre Dame du Haut von Ronchamps.

Welzbachers „Expeditionen“ sind eine essayistische Verwicklung von Notizen, kunsthistorischen Räsonnements und Erzählungen. In die absurde Logik vergangener und kommender Kriege bettet Welzbacher Urbunker, Alpenbunker und Cyberbunker. Dabei jongliert er in seinem Essay mit Fakten und Fiktion: Verweilte Familie Miller wirklich jahrzehntelang im Irrglauben eines Atomangriffs im hauseigenen Schutzraum, freilich mit fatalem Ende? Und Erich Mendelsohn, der deutsch-jüdische Großvater der Betonarchitektur, entwarf er tatsächlich während des Zweiten Weltkriegs ganze deutsche Dörfer für das US-Militär, damit es sie zur Erprobung von Chemiewaffen wieder zerstörte? Und was hat es mit diesem Künstler Arturo da Ruscello-Siluro auf sich, der zuweilen zu Worte kommt?

In zahlreichen Anekdoten lässt Welzbacher Wahres und Erdachtes zusammenfallen. Das große Bunkerthema bricht er dabei aufs szenische Detail runter. Sushi unter der Erde, Gabelstapler im Lagerhaus-Bunker, langbärtige Schweizer als MG-Schützen – sein erzählerisches Zierwerk ist skurril, komisch und polemisch.

Vermessen ist Welzbacher schon. Mit seiner alles anreißenden Bunker-Fibel erklärt er nicht nur die Moderne als zwischen Vernunft und Trug gespalten, sondern attestiert gleich der ganzen heutigen Welt, von dieser Widersprüchlichkeit ins Straucheln geraten zu sein. Seiner ungenügsamen Haltung begegnet der Autor in dem Buch jedoch mit Ironie und Distanz. Die vielen Mails eines „Prince Charming“ an eine unbekannte Eliza etwa bleiben unbeantwortet. Folglich verkündet der Märchenprinz sein pathetisches „Der Bunker ist eine grandiose Fehlkonstruktion, die Trias Material, Form, Funktion ist nicht mehr zu halten!“ in einem einsamen Monolog. Besonders schön ist auch dieser Stilgriff Welzbachers: „Virilio sagt: ‚Aldous Huxley sagt, dass …‘“

SOPHIE JUNG

■ Christian Welzbacher: „Bunker“. Matthes & Seitz, Berlin 2013, 188 Seiten, 22,90 Euro