Hier lächelt die Oberflächlichkeit der Welt

KINO „Somewhere“ von Sofia Coppola ist ein sympathischer Film. In Venedig bekam die selbstreflexive Hollywood-Geschichte nun den Goldenen Löwen. Ansonsten beherrschten das Grobe, das Derbe und das Laute dieses Festival – im Zweifel für das Rummelplatzkino

■ Die internationale Jury der 67. Filmfestspiele von Venedig hat unter dem Vorsitz des US-amerikanischen Regisseurs Quentin Tarantino unter anderem folgende Preise vergeben:

Goldener Löwe für den besten Film: „Somewhere“ von Sofia Coppola (USA)

Silberner Löwe für die beste Regie: Álex de la Iglesia für „Balada triste de trompeta“ (Spanien/Frankreich)

Spezialpreis der Jury: „Essential Killing“ von Jerzy Skolimowski (Polen)

„Coppa Volpi“ für den besten Schauspieler: Vincent Gallo in „Essential Killing“ von Jerzy Skolimowski (Polen)

„Coppa Volpi“ für die beste Schauspielerin: Ariane Labed in „Attenberg“ von Athina Rachel Tsangari (Griechenland)

Speziallöwe für das Gesamtwerk: Monte Hellman (USA), der mit dem Film „Road to Nowhere“ im Wettbewerb von Venedig war

VON CRISTINA NORD

Ein Unwetter ging über Venedig nieder, als Sofia Coppolas Film „Somewhere“ in der Sala Darsena der Presse vorgeführt wurde. Obwohl der Saal ein Leichtbau aus Holzpaneelen ist, blieben die Filmkritiker trocken. Auf dem Lido standen binnen kurzer Zeit die Straßen unter Wasser, und durch das Dach des dreistöckigen Kasinos regnete es durch.

Wer an der Notwendigkeit eines neuen Gebäudes für die Filmbiennale zweifelte, musste sich nur die Wasserflecken an der Decke anschauen, um seine Meinung zu ändern. Schade nur, dass das Baugelände zwar seit einem Jahr umrüstet ist, die Arbeiten aber noch gar nicht begonnen haben, weil Asbest gefunden wurde. Für „Somewhere“ unterdessen war das Unwetter kein schlechtes Omen, im Gegenteil. Die von Quentin Tarantino präsidierte Jury verlieh Coppoals Film den Goldenen Löwen.

Das ist allein schon deshalb keine schlechte Entscheidung, weil „Somewhere“ in gewisser Weise repräsentativ für die 67. Mostra Internazionale d’Arte Cinematografica steht. Denn der Film spielt eines der Leitmotive des Festivals, die Reflexion über das Showbusiness, durch. Coppola erzählt von einem Filmstar in Los Angeles, Johnny Marco (Stephen Dorff), der sich in einem Nebel aus Melancholie und Narzissmus bewegt. Seine Tage füllt er, indem er mit seinem schwarzen Ferrari über die Highways fährt, sich auf Partys betrinkt, flirtet oder sich Tänzerinnen auf seine Suite im Chateau Marmont Hotel bestellt. Sie tanzen in rosa-weiß gestreiften Schwesternkitteln für ihn, eine Reminiszenz an einen Porno aus den 70er Jahren, doch er schläft noch während ihrer Performance ein. Als seine elf Jahre alte Tochter bei ihm einzieht, macht sich in Marco ein Unbehagen breit, ein Unbehagen an der Leere, der Oberflächlichkeit, an seinem komfortablen, aber leidenschaftslosen Leben in diesem wattierten West Hollywood.

„Somewhere“ ist ein sympathischer Film, Coppola versteht sich auf lakonische Pointen, ihrem milden Spott schaut man gern zu, und Harris Savides, der Kameramann, findet Einstellungen, die in den besten Augenblicken an das Kino New Hollywoods erinnern. Zugleich bleibt „Somewhere“, darin seiner Hauptfigur verwandt, an der Oberfläche. Er schaut sich Phänomene an, ohne sie durchdringen zu wollen, und freut sich immer wieder an ebenden Reizen, in denen er doch eigentlich den Ausweis der Oberflächlichkeit erkennt.

Krach allein ist gar nichts

Wenn Marco am Ende auf einer Landstraße aus seinem Ferrari steigt, im Abendlicht auf die Kamera zukommt und schließlich an ihr vorbei aus dem Bild geht, dann ist das zwar eine der vielen schönen, leer geräumten Einstellungen dieses Festivals, aber auch ein recht einfacher Ausweg aus einem Konflikt, der viel tiefer reicht, als „Somewhere“ zu verhandeln imstande ist.

Deshalb ist die Entscheidung der Jury auch ein bisschen enttäuschend. Gern hätte man den Löwen bei einem radikaleren Film gesehen, bei Kelly Reichardts Western „Meek’s Cutoff“ zum Beispiel oder bei Takashi Miikes tollem Samurai-Film „Jûsan-nin no shikaku“ („13 Assassins“), der auf eine für den japanischen Regisseur ungewöhnlich geradlinige Weise davon erzählt, wie ein Trupp von Samurai-Kämpfern dem Machthaber Naritsugu nach dem Leben trachtet, weil nur der Tyrannenmord das Land davor bewahren kann, in Willkür zu versinken.

Was den Film so besonders macht, ist nicht nur sein ausgedehntes, an Kurosawas „Sieben Samurai“ erinnerndes Finale, es ist auch der Umstand, dass man dabei zuschaut, wie eine etablierte gesellschaftliche Ordnung an ihr Ende kommt. Die Welt der Samurai samt ihren Vorstellungen von Ehre ist im Begriff, unterzugehen, und alle Figuren sind sich dessen bewusst.

„Jûsan-nin no shikaku“ ist – typisch für Miike – ein sehr gewalttätiger Film. Was ihn von anderen gewalttätigen Filmen unterscheidet, ist, dass er niemals gemeinsame Sache mit dem Sadismus eines Lord Naritsugus macht.

Letzteres lässt sich von „Balada triste de trompeta“ („Traurige Trompetenballade“) nicht sagen. Der grotesk-überspannte Film des spanischen Regisseurs Álex de la Iglesia hat den zweitwichtigsten Preis des Festivals gewonnen, den Silbernen Löwen für die beste Regie, und dazu noch eine Osella für das beste Drehbuch.

„Balada triste de trompeta“ steht in der Tradition des Grand-Guignol und versucht sich an einer Art Teufelsaustreibung: Der Teufel ist der Franquismus, der Held ein trauriger Clown im Zirkus, auf den so lange eingeschlagen wird, bis er rotsieht – ein Rambo im Clownsgewand, das Gesicht so von Säure verätzt und von Brandwunden entstellt, dass die Clownsmaske zur Fratze auf Lebenszeit geworden ist. De la Iglesias Versuch einer phantasmagorischen Geschichtsschreibung wäre interessanter, verzettelte er sich nicht in einer plumpen Liebesgeschichte; doch auch dann hätte der Film noch das Problem, dass er sich dem Sadismus der Figuren viel zu bereitwillig in die Arme wirft.

Wenn diese Filmbiennale oft dröhnte, schepperte und röhrte, so war „Balada triste de trompeta“ einer der allerlautesten Filme – und zugleich ein trauriger Beleg dafür, dass Krach allein gar nichts ist.

Das Grobe, das Derbe, das Laute: sie beherrschten das Festival. Marco Müller, der Leiter der Mostra, bemüht sich um ein Kino, das seine Ursprünge auf dem Rummelplatz hat; guter Geschmack und bürgerliche Vorstellungen von Kunst sind ihm dabei recht gleichgültig. Das macht seine Mostra sympathisch. Wie lange das noch so gehen wird, ist allerdings ungewiss; Müller hat angekündigt, nur noch bis 2011 zur Verfügung zu stehen, weil er sich danach wieder der Produktion von Filmen zuwenden wolle.

Was sich in diesem Jahr, zumindest im Wettbewerbsprogramm, ein wenig rar machte, war das Gegengewicht zum Krach, waren das Spröde, Unzugängliche und Enigmatische. Sicher, es gab Vincent Gallos Schwarz-Weiß-Etüde „Promises Written in the Water“ (Gallo erhielt übrigens für die Darstellung eines flüchtigen Taliban in Jerzy Skolimowskis Wettbewerbsbeitrag „Essential Killing“ den Schauspielerpreis), es gab Reichardts spröden „Meek’s Cutoff“ oder den griechischen Film „Attenberg“ der jungen Regisseurin Athina Rachel Tsangari, die lakonisch und verschroben von einer jungen Frau und ihrem sterbenden Vater erzählte.

Tarantinos Inspirationen

Um experimentellere Formen zu finden, musste man sich jedoch anderen Sektionen als dem Wettbewerb zuwenden. Besonders die Orizzonti-Reihe löste sich vom Erzählkino, indem sie Filme von Isaac Julien, Peter Tscherkassky oder Allan Sekula programmierte und neue Wege zwischen Dokument und Fiktion beschritt – etwa mit José Luis Guerins schönem Essayfilm „Guest“ oder „Verano de Goliat“ von dem jungen Mexikaner Nicolás Pereda, dem die Orizzonti-Jury ihren Hauptpreis verlieh.

Monte Hellman schließlich, der große Maverick des US-amerikanischen Kinos, hat einen Spezialpreis bekommen. Das nimmt nicht wunder, da Tarantino dem heute 78 Jahre alten Mann viel verdankt. Hellman produzierte „Reservoir Dogs“, Tarantinos Debüt; Motive aus Hellmans Filmen prägen Tarantinos Oeuvre, und die einzige Filmkritik, die Tarantino je veröffentlichte, galt Hellmans Western „Ride in the Whirlwind“ (1966).

Den Preis erhält Hellman weniger für seinen aktuellen, verschachtelten und nicht wirklich geglückten Wettbewerbsbeitrag „Road to Nowhere“ als für sein Gesamtwerk. In der Begründung heißt es: „Monte Hellman ist ein großer Kinokünstler und ein minimalistischer Poet. Sein Werk hat diese Jury inspiriert.“ Dieses Werk freilich ist keines, über das Hellman selbst je frei hätte bestimmen können. Über seinen neuen Film sagt er: „Es ist das erste Projekt, das ich selbst verwirklichen konnte. Bei den anderen Filmen war es so, dass sie von jemand anders ausgingen und ich angeheuert wurde, um sie zu Ende zu bringen.“

Künstlerische Freiheit hat Hellman also bis „Road to Nowhere“ nie genossen. Doch gerade aus dieser Einschränkung heraus entstand sein starkes, einfaches, nihilistisches Kino. Kunst kommt eben manchmal auch davon, dass man Zwänge produktiv machen kann.