Grün ist die Hoffnung

taz-Serie „Bezirkssache“ (Teil 7): Spandau kämpft mit sozialen Problemen. Industriebetriebe haben zugemacht, Familien sind abgewandert. In der Siedlung Falkenhagener Feld kämpfen gleich zwei Quartiersmanagements darum, dass das Viertel nicht kippt. Grünflächen sollen es attraktiver machen

„Der tiefgreifende Bevölkerungswandel nach der Wende tat dem Viertel nicht gut“

VON NINA APIN

Das Gesicht von Spandau wirkt freundlich und ein bisschen onkelhaft. CDU-Mann Konrad Birkholz ist seit fünf Jahren Bezirksbürgermeister, er trägt Brille, Schnäuzer und um den Hals eine Fliege.

Das Gesicht des Bürgermeisters, eines geborenen Spandauers, hängt auf Plakaten an fast allen Straßen. Eigentlich unnötig, sagt sein Parteikollege, Baustadtrat Carsten-Michael Röding: „Das Gesicht des Bürgermeisters ist im ganzen Bezirk bekannt. Er ist in Kladow und dem Falkenhagener Feld gleichermaßen beliebt.“

Kladow und Falkenhagener Feld – besser könnte man die Gegensätze des nordwestlichsten Bezirks von Berlin kaum beschreiben. Hier der Inbegriff einer ländlich-bürgerlichen Idylle am Stadtrand mit historischem Dorfkern, Villenviertel und Waldorfschule; dort eine Großbausiedlung aus den 60er-Jahren, die von Arbeitslosigkeit, Bildungsarmut und sozialen Problemen geprägt ist. Dazwischen gibt es noch sieben andere Ortsteile, etwa die für Industriearbeiter gebaute Siemensstadt, die Gartenstadt Staaken und die historische Altstadt mit der Zitadelle. Auf Letztere konzentriert sich das Bezirksmarketing: Die „Zitadellenstadt“ führt die Zinnen der Renaissancefestung im Wappen.

Doch hinter der bürgerlichen Fassade kämpft Berlins größter Industriebezirk seit Jahren mit gewaltigen Problemen: „Wohlhabende Einwohner sind in Scharen ins Umland abgewandert. Durch Wegzug oder Restrukturierung von Betrieben wie Siemens und AEG ist die Arbeitslosigkeit stark gestiegen“, skizziert Baustadtrat Röding die Lage. Es gilt, das Abgleiten von Teilen des ehemals gediegenen Bezirks zu verhindern, darüber ist man sich in der Bezirksverordnetenversammlung einig.

Regiert wird im prächtigen Rathaus mit kollegialer Besonnenheit, ideologische Debatten bleiben außen vor, Realpolitik dominiert das Tagesgeschehen. Die CDU hat hier mit 25 Sitzen eine knappe Mehrheit vor der SPD mit 22 Sitzen, bis zur letzten Legislaturperiode war es andersherum. Beide Parteien stellen je zwei Stadträte. Die FDP ist mit vier Sitzen doppelt so stark wie die Grünen und die PDS. Doch ihre Kandidaten, die entlang der schnurgeraden Pionierstraße vor blaugelbem Hintergrund von den Plakaten lächeln, sind nicht halb so bekannt wie der allgegenwärtige Bürgermeister.

Der Herr mit der Fliege erfüllt schon allein durch seine Biografie eine Klammerfunktion in dem heterogenen Bezirk: Im idyllischen Kladow geboren, arbeitete Birkholz später als Sozialarbeiter in Stadtvierteln wie dem Falkenhagener Feld. Daher kennt man ihn auch hier, im Nordwesten Spandaus. „Der war schon öfter bei uns“, sagt ein älterer Mann, der mit Einkaufstasche vor dem „Stadtteilzentrum“ in der Westerwaldstraße steht, 60er-Jahre-Stadtplanerdeutsch für ein Ensemble aus heruntergekommenen Zweckbauten mit Bäcker, Bibliothek und Gemeinderaum. Aus dieser Zeit stammt die ehemals größte Siedlung Berlins, die zu weiten Teilen der einst landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft GSW gehört.

Schnurgerade Straßenachsen durchschneiden vier- und achtgeschossige Wohnblockgruppen, die von Reihenhauszeilen und Grünanlagen aufgelockert werden. Das Falkenhagener Feld, in dem 20.000 Menschen leben, wurde 2005 vom Stadtentwicklungssenat zum „Präventionsgebiet“ erklärt. Zwei Quartiersmanagements erhalten seitdem 200.000 Euro jährlich für ihr Bemühen, ein weiteres Abrutschen der Gegend zu verhindern.

Für den Ostteil des Gebiets ist Veronika Zimmer zuständig. „Der tiefgreifende Bevölkerungsaustausch nach der Wende tat dem Viertel nicht gut“, sagt die Quartiersmanagerin. Auch von dort sind Familien und Besserverdienende in den brandenburgischen Speckgürtel gezogen. Übrig blieben vor allem Rentner und Arme. Die neuen Mieter, Spätaussiedler aus Russland, Arabisch- und Türkischstämmige, kamen wegen der günstigen Mieten.

Das soziale Miteinander ist mehr als problematisch. Veronika Zimmer berichtet von Schulen mit 70 Prozent nicht-deutschsprachigen Schülern, vernachlässigten Kindern und Alkoholismus. „Noch haben wir hier keine Probleme wie in Neukölln“, sagt sie. Aber ernst sei die Situation dennoch. Ein Viertel der unter 18-Jährigen lebt von Sozialhilfe, knapp 20 Prozent der Bewohner ist arbeitslos. 12 Prozent leben von Hartz IV – doppelt so viel wie der Berliner Durchschnitt. „Es gibt hier ganze Häuser, in denen niemand mehr zur Arbeit geht“, sagt Zimmer.

Die studierte Stadtplanerin weiß: „Ohne Bürgerbeteiligung geht gar nichts.“ Darum hat sie eine russisch- und einen türkischsprechenden Mitarbeiter eingestellt, die Kommunikationsbarrieren zwischen den Bewohnern einreißen sollen. Mit Projekten wie der gemeinsamen Bemalung der Stadtteilbibliothek und der Gründung einer Bolzplatz-Liga will sie Zusammenhalt und Gemeinschaftssinn fördern.

Doch ein bisschen Fußball allein reicht nicht. Es gilt vor allem, den teilweise verkommenen Wohnungsbestand zu sanieren, ehemalige Sozialbauwohnungen familiengerecht umzubauen und die Infrastruktur zu verbessern. Dafür bekommen Zimmer und ihre insgesamt vier Kollegen zusätzliche Mittel vom Programm „Stadtumbau West“.

Zimmer und ihre Kollegen erfahren viel Rückhalt aus der Politik, besonders lobt sie die sachorientierte Zusammenarbeit mit Baustadtrat Röding. Dass nach der Wahl alles anders werden könnte, davor hat Veronika Zimmer keine Angst. Schließlich sind im Rathaus alle froh, dass sie da ist. „Wir sind glücklich, dass uns die Senatsverwaltung im Falkenhagener Feld und der Heerstraße Nord gleich mit drei Quartiersmanagements bedacht hat“, sagt Baustadtrat Röding.

Die Stadträtin für Jugend und Familie, Ursula Meys, bescheinigt den Quartiersmanagern gute Arbeit. „Die Wohnungsbaugesellschaften ziehen mit und die Anwohner sind nach zwei Jahren hoffentlich auch so weit, ihre Angelegenheiten in die eigene Hand zu nehmen“, hofft die SPD-Politikerin. In zwei Jahren endet der Projektrahmen für das Quartiersmanagement.

Die Chance des Falkenhagener Felds besteht darin, neue Wege zu gehen, glaubt Walter Göllner vom Stadtplanungsamt. Dazu gehöre auch, Alternativen zur Lohnarbeit aufzuzeigen. In „multikulturellen Gärten“ könnten Alte, Arbeitslose und Kinder aus allen Nationen ihre Freizeit mit gemeinsamer Gartenbewirtschaftung verbringen.

Auch Veronika Zimmer sieht die Zukunft des Falkenhagener Felds im Grünen. Ein durchgehender Grünzug bis zur Altstadt, der große Spektepark mit dem Spektesee in der Mitte, die Nähe zum Stadtrand – mit ein paar Eingriffen super Naherholungsmöglichkeiten, die auch wieder Familien anziehen können, glaubt die Stadtplanerin. Auch in den Bewohnern des Viertels steckt Potenzial, ist sie sich sicher. Man muss es nur wecken.