Ein ungebührlicher Lauschangriff

Veranstalter einer Antifa-Demonstration sollen für die dort gespielte Musik zahlen. Ein Polizist hat eine Songliste erstellt und an die Gema geschickt. Das geht selbst dem Polizeipräsidenten zu weit

von Johannes Radke

Eine Antifa-Demonstration in Lichtenberg wird den Veranstalter teuer zu stehen kommen. Wie erst jetzt bekannt wurde, hatte ein Polizist bei dem Protestzug vor vier Wochen akribisch die über den Lautsprecherwagen abgespielten Musiktitel notiert – und die Liste anschließend dem Rechteverwerter Gema zukommen lassen. Dabei war nach Recherchen der taz der übereifrige Beamte gar nicht zu seinem Lauschangriff berechtigt.

Die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (Gema) vertritt die Ansprüche von Komponisten, Musikern und Verlegern. Wer dort angemeldete Lieder öffentlich nutzt, muss laut Urheberrecht zahlen. Das gilt vor allem für CD-Pressungen, Liveauftritte und Radio-Airplay, theoretisch aber auch für jede öffentliche Gartenparty oder eine Demonstration.

Tatsächlich werden jedoch die wenigsten Kundgebungen vom jeweiligen Veranstalter bei der Gema angemeldet. Viele wissen nicht einmal, dass es eine solche Regelung gibt. Zwar gibt die Gema für politische Veranstaltungen einen Rabatt von 25 Prozent, trotzdem können für eine größere Demo je nach Anzahl der Teilnehmer schnell einige hundert Euro Gebühren zusammenkommen. Wurde die Veranstaltung nicht bei der Gema angemeldet, droht im Nachhinein ein Rechnung über doppelt so hohen Gebühren.

„Wir sehen im Verhalten der Polizei eine neue Ebene der Repression“, erklärt Sebastian Lorenz, Sprecher des Bündnisses Lichtenberg gegen Rechts, das zu der abgehörten Kundgebung aufgerufen hatte. Noch nie habe man in Berlin bei Demonstrationen für die Musik zahlen müssen. „Wenn die Polizei jetzt plötzlich als Handlanger der Gema in Erscheinung tritt, obwohl das definitiv nicht ihre Aufgabe ist, kann man davon ausgehen, dass es darum geht, linke Politik zu diskreditieren“, sagt Lorenz. Er befürchtet, dass kleine politische Gruppen, die nur über geringe finanzielle Mittel verfügen, durch die Drohung mit Gebühren für Musik in ihrer Arbeit eingeschränkt werden sollen.

Auch in der Gema-Zentrale in München zeigt man sich von der unaufgeforderten Hilfe durch die Berliner Polizei überrascht. „Dass wir von der Polizei über die Aufführung Gema-pflichtiger Werke benachrichtigt werden, ist nicht normal“, sagt Gema-Sprecher Hans-Herwig Geyer. Eine derartige Absprache mit der Polizei habe die Verwertungsgesellschaft nicht getroffen.

Dennoch wurde die antifaschistische Hitparade nach München übermittelt. „Im besagten Fall ist eine Liste mit Musiktiteln erstellt worden, die auch der Gema ausgehändigt wurde“, bestätigt Polizeisprecher Uwe Kozelnik auf Nachfrage der taz. Allerdings habe der eingesetzte Beamte eigenständig gehandelt. „Wir werden jetzt überprüfen, ob das rechtlich zulässig war“, so Kozelnik weiter. Unabhängig davon habe Polizeipräsident Dieter Glietsch umgehend eine Weisung an alle Dienststellen verschicken lassen, in der den Beamten untersagt wird, weiterhin Musiktitel bei Demonstrationen für die Gema zu notieren.

Für die Lichtenberger Demoveranstalter kommt die Weisung jedoch zu spät. Auch künftig müssen Veranstalter von Kundgebungen vorsichtig sein, wenn sie der Gema-Gebühr definitiv entgehen wollen. Ihnen bleibt als einzig sicherer Ausweg nur der vollständige Verzicht auf Musik. Selbst für singende Demonstrationsteilnehmer könnte es teuer werden. Sollte das gemeinsame Singen Gema-pflichtiger Lieder „nicht spontan und aus der Dynamik der Veranstaltung heraus, sondern geplant stattfinden, ist die Aufführung vergütungspflichtig“, erklärt Gema-Sprecher Geyer.