„Wir haben unsere Leidenschaft beerdigt“

INTERVIEW GEORG LÖWISCH
UND PETER UNFRIED

taz: Frau Hermenau, wird es in Zukunft noch eine Partei Bündnis 90/ Die Grünen geben?

Antje Hermenau: Ja, natürlich. Und nicht nur im Westen.

Wir meinten den Doppelnamen: Bündnis 90/Die Grünen.

Ach so. Ja, der Name wird sich noch eine Weile halten. Die Westdeutschen lassen das Bündnis 90 einfach weg, und wir sagen es, weil es uns wichtig ist.

Warum?

Weil es damals unser Anliegen war, die Bürgerbewegung mitzunehmen zu den Grünen, das Neue Forum und Demokratie Jetzt. Das geben wir so leicht nicht mehr her.

Steht das Beharren auf dem Namen nicht für eine Jammerhaltung, die nur auf die Geschichte verweist? Etwa die Story Ihres Parteifreundes Werner Schulz, der als letzter aufrechter, aber trauriger Bündnisgrüner gegen Schröders Neuwahlaktion kämpfte.

Ich empfinde das nicht so. Es gibt hier noch die Wahrnehmung: Das waren die Leute an den runden Tischen, das wird hier sehr respektiert. Ich hab keine Lust, das nur wegen Werners Hang zur Selbstinszenierung aufzugeben.

Andererseits hatte Schulz immer wieder großen Erfolg.

Ich hab das ja auch ertragen, und jeder darf so sein, wie er möchte. Es gab hier in Sachsen allerdings auch eine Distanzierung von Werner, weil wir einen produktiveren und dynamischeren Zugang wollten. Wir schaffen die Weinerlichen gerade alle ab.

Sie haben den Ost-Grünen mit dem erstmaligen Wiedereinzug in einen Landtag 2004 eine Zukunft eröffnet. Was machen Sie in Sachsen anders als andere Ost-Grüne?

Ein strategischer Vorteil ist, dass wir mit Dresden und Leipzig zwei wirkliche Großstädte haben, wo sich ein urbanes Milieu stark verdichtet. Es kommt hinzu, dass der Landesverband sich einig war und sich hinter einer Figur versammelt hat, die die regionale Identifizierung ermöglicht.

Regionale Identifizierung?

Ich bin eine sächsische Schnauze, ich komm von hier. Die Grünen kämpfen hier gegen das Image einer Westpartei. Das muss man erst mal glaubwürdig überbrücken.

In Mecklenburg-Vorpommern kandidiert jetzt eine Westdeutsche.

Ulrike Seemann-Katz ist zugewandert, aber sie ist keine Süddeutsche, da fällt es nicht so auf. Wenn hier einer schwäbelt, ist das gleich „Besatzersprache“.

Anderswo in Ostdeutschland gibt es kein Leipzig und kein Dresden. Werden da die Grünen immer bedeutungslos bleiben?

Das mit den Großstädten hat uns nur einen Vorsprung verschafft. Im Osten findet gerade ein Anpassungsprozess statt. Immer mehr Leute sind jetzt in der Situation, dass sie wissen, wie ihr Leben verläuft und wie sich ihr Einkommen entwickeln wird. Dann setzen postmaterielle Diskussionen ein. Nach und nach entwickelt sich wieder ein Bürgertum, auch mit Zugewanderten aus dem Westen. Das kommt uns zugute.

Das ist doch ein Widerspruch. Einerseits haben Sie Angst, den alten Wendezeitnamen abzulegen, und andererseits wollen Sie junge, gebildete Postmaterialisten ansprechen.

Ganz genau: So sieht mein grüner Flohzirkus aus.

Die Konkurrenz beschreibt die Grünen als Naturschutzfritzen, die Investoren abschrecken.

Einige FDPler beschwören das noch, dass wir jeden Frosch über die Straße tragen. Aber im Großen und Ganzen sind wir da durch. Wir haben T-Shirts mit dem Aufdruck „Fröscheversteher“, um das ironisch zu wenden. Und wir haben unsere offene Flanke im Bereich Wirtschaft, Arbeit und Finanzen geschlossen. Die Leute müssen sicher sein, dass grüne Politik keinen wirtschaftlichen Schaden verursacht.

Was ist Ihre Oppositionsstrategie?

Wir haben uns für eine konstruktive Opposition entschieden. Wir sitzen nicht in den Gräben, die von der PDS schon übervölkert sind. Bei echten Meinungsunterschieden wie bei der Braunkohle hauen wir massiv rein. Aber es gibt auch Sachen, die wir in der Regierung nicht groß anders machen würden. Da sagen wir nicht, in der CDU sitzen nur Idioten. Wir können unseren Milieus gar keine hanebüchenen Forderungen zumuten.

Außerdem wollen Sie auch in konservativen Milieus Erfolg haben.

In den städtischen konservativen Milieus ja. Die werden ja gerade von der CDU verlassen, weil sie auf dem Land gegen NPD und ein bisschen FDP den Existenzkampf führt. In den Städten gibt es Aufgeschlossene, die sich für konservativ halten und merken, dass die CDU nicht ihre Partei ist. Diese Leute muss man abholen.

Da wäre es ja logisch, in der Opposition darauf hinzuarbeiten, dass Schwarze und Grüne mal gemeinsam regieren.

Ja, aber selbst der fitteste Grüne kriegt kein schwarzes Kamel durchs Nadelöhr. Ich glaube allerdings, dass wir auf Dauer eine Zuspitzung der Verhältnisse haben. Im Osten müssen wir nicht nur die Globalisierung überleben, sondern auch die Abwanderung. Deswegen kann es gut sein, dass die CDU eine Partei, die ihr nicht so nahesteht, als Entschuldigung für eine vernünftige Politik braucht. Dann wird sich das schwarze Kamel dünne machen müssen fürs Nadelöhr.

Brauchen die Grünen eine Machtperspektive im Osten, oder reicht es, überhaupt in Parlamente zu kommen?

2004 hatten wir keine Machtperspektive. Wir hatten ja ziemlich Fahrtwind am Hintern mit unseren 5,09 Prozent. Ob es das nächste Mal eine Machtoption gibt, können wir in Ruhe abwarten. Wenn sich substanziell was bietet, ist das doch hochcharmant. Ich glaube, dass solche Koalitionsfragen bei den Grünen in nächster Zeit stärker regionalisiert werden. In den Ländern liegen die Experimentierfelder.

Und Dreierkonstellationen wie CDU, FDP und Grüne?

Ich sehe zur FDP in Sachsen keinen Anknüpfungspunkt. Programmatisch und von der Chemie her gäbe Jamaika eine Riesenkollision. Schon mit der CDU zusammenzugehen wäre für die Grünen ein wahnsinniger programmatischer und emotionaler Schritt.

Hessens Grünenchef Berninger sieht mit der FDP eine bundesweite „Machtperspektive“.

Wenn Sie diesen Doppelwhopper aufbauen, mit CDU und FDP, so weit kriegt der Grüne das Maul nicht auf.

Angesichts der Umfrageergebnisse vor der Berlinwahl träumen Grüne schon wieder von der Renaissance von Rot-Grün. Ist das die Zukunft?

Wenn das für die Berliner was bringt, sollen die das machen. Ob es für den Bund die Zukunft ist, da halte ich mich sehr zurück. Die Regierungszeit von Rot-Grün war ja ziemlich durchwachsen.

Als Sie 1994 bis 1998 erstmals im Bundestag saßen, war das noch die Zeit, als alle in Ihrer Fraktion auf Rot-Grün hingearbeitet haben. Wie haben Sie das empfunden?

Es war richtig viel unterwegs. Wir haben uns über die Umsetzung unserer Ideen in einer Regierung Gedanken gemacht. Mir hat diese Zeit gut gefallen, auch wenn es hart war, Fuß zu fassen, als Ossi, jung und als Frau. Es war ja nicht so, dass es da bei den Grünen große Patenschaftsprogramme gab.

Fischer nannte Sie Hermine.

Das haben alle so gemacht. Weil es ja noch Antje Vollmer gab. Meine Oma hieß Hermine, und ich hab gesagt, statt Antje II könnt ihr mich auch so nennen. Fischer hat bloß irgendwann mal Herminchen draus gemacht.

Wann war das?

In der Regierungszeit. Ich wollte Walter Scheel und anderen früheren Staatsmännern nach soundso vielen Jahrzehnten Sekretärin und Chauffeur wegstreichen. Fischer hat gesagt: „Herminchen, hab dich mal nicht so.“ Da hab ich gemerkt, du musst Feuer geben. Du darfst dich nicht als Herminchen um Minimalbeträge kümmern, sondern musst dich als Antje Hermenau fürs große Geld interessieren, dann kriegst du auch die kleinen Dinge durch.

Wie hat denn Rot-Grün die Grünen verändert?

Wir haben in der Zeit die Leidenschaft verloren und wurden zu Politikmechanikern. Überlegen Sie mal, wenn Sie uns im Fernsehen gesehen haben: Wie viel Leidenschaft war denn da noch drin? Und dann denken Sie mal daran, wie früher die grünen Parteitage abgelaufen sind oder die Bundestagsreden.

Warum wurde alles so nüchtern?

Es war für jeden anstrengend in der neuen Rolle. Dann war man auch in der Situation, dass man Kompromisse suchen muss, dass man die Informationen kriegt, die Fakten, und das ernüchtert einfach. Das hätte aber nur eine rationale Ernüchterung sein müssen und keine emotionale. Aber es hatte so was Deprimierendes, dass unsere hochfliegenden Pläne alle nicht gingen, dass wir die Leidenschaft gleich mit beerdigt haben. Das war falsch.

Schafft der bevorstehende grüne Zukunftskongress die Abnabelung von Rot-Grün?

Es muss mehr werden als nur ein Veteranentreffen. Sicher wird es noch mal eine Selbstvergewisserung, und dem kann ich auch was abgewinnen. Den Pokal noch einmal zu polieren und zu sagen: Leute, das haben wir bei Rot-Grün alles geschafft, das waren richtige Ansätze, jetzt vermurksen die in der großen Koalition alles. Also: Noch mal neu polieren, aber dann bitte ab in die Vitrine.

Und danach?

Ich finde es ermutigend, dass sich so viele Grüne zum Kongress angemeldet haben. Es gibt ein Bedürfnis nach Orientierung. Es ist nicht so, dass wir überall die falschen Fragen stellen und die falschen Antworten geben. Die Hürde, die wir jetzt nehmen müssen, ist: Wie lässt man den Funken wieder überspringen, und was wirkt nicht wie zwanzig Schlaftabletten? Da verspreche ich mir viel von einem Wettbewerb der regionalen Projekte und auch der Persönlichkeiten.

Was ist das Ziel des Wettbewerbs?

Natürlich müssen die an der Spitze irgendwann regeln, wer Spitzenkandidat oder Spitzenkandidatin wird. In der Phase des Wahlkampfes muss es einen oder eine zum Anfassen geben, und es ist schon nötig, dass in den Shows nur eine Nase auftaucht.

Sind Sie froh, dass Sie jetzt nicht in Fischers Berliner Erbengemeinschaft sitzen?

Ich vermisse Berlin wirklich nicht. Nach der Wahl 2002 hab ich mich mit der rot-grünen Politik nicht mehr wohlgefühlt. Ich hatte das Gefühl, das geht völlig in die falsche Richtung, und ich hab das auch gesagt.

Fraktionsintern galten Sie als dauerrenitent.

Die Strukturreformen sind nicht stark genug angegangen worden. Fischer hatte keine konkrete Vorstellung, wie viel Schulden der Staat machen darf oder soll. Das hat dazu geführt, dass das Land immer unregierbarer wurde. Dann hat die Union diese Spannung über den Bundesrat noch verstärkt. Deshalb hab ich keinen Schweiß mehr auf dieser Baustelle verschwendet, sondern mir ’ne andere gesucht.

Wie ist eigentlich Ihr Abschied aus Berlin verlaufen?

Ich habe zu einer kleinen Champagnersause eingeladen, die haben einige auch wahrgenommen, auch die Fraktionschefinnen. Aber es sind viele Flaschen übriggeblieben. Die hab ich dann in Dresden ausgetrunken.