Der ewige Stadtvater lässt die Leine los

Die beständigste politische Karriere Deutschlands geht in diesen Wochen in Hannover zu Ende. Als dort im Januar 1972 Herbert Schmalstieg zum Stadtoberhaupt gewählt wurde, war der 28-Jährige noch der jüngste Oberbürgermeister Deutschlands. Mittlerweile ist Schmalstieg seit Jahren das dienstälteste deutsche Stadtoberhaupt. Nun gibt der 63-Jährige, der mit der SPD-Landtagsabgeordneten Heidrun Merk verheiratet ist und zwei Kinder hat, sein Amt auf. Bei der niedersächsischen Kommunalwahl am 10. September tritt der SPD-Politiker nicht wieder an.

Schmalstieg haben es die Sozialdemokraten zu verdanken, dass Hannover anders als die meisten deutschen Großstädte politisch immer SPD-Hochburg geblieben ist. Den 500.000 Hannoveranern hat seine Politik Lebensqualität beschert. Die Stadt bestehe zu fast 50 Prozent aus Grün- und Erholungsflächen, sagt Schmalstieg stolz. In seiner Amtszeit war Hannover Expo- und Fußball-WM-Stadt und blieb bedeutende Messestadt. Mit verstopften Straßen hatte die Stadt dank ihres Nahverkehrssystems, das zur Expo runderneuert wurde, fast nie zu kämpfen.

Schmalstieg legt auch Wert auf die Feststellung, dass Hannover eine tolerante, für Flüchtlinge und ausländische Mitbürger offene Stadt sei. 1973 nach dem Putsch in Chile begrüßte Schmalstieg am Flughafen Hannover-Langenhagen die ersten in die Bundesrepublik gelangten Flüchtlinge. Er engagierte sich zudem gegen die atomare Aufrüstung, trat dem weltweiten Zusammenschluss der „Bürgermeister für den Frieden“ bei und pflegte besonders die Freundschaft zu Hiroschima, dessen Partnerstadt Hannover seit 1983 ist.

Der gelernte Betriebswirt, der vor dem Wechsel in die Politik eine Abteilung der Hannoverschen Stadtsparkasse leitete, war nie ein begnadeter Redner. Dafür gab er sich stets bürgernah. Das zahlte sich aus. Bei der Kommunalwahl 2001 warb die SPD schlicht dafür, „den Hannoveraner“ zu wählen.

Der Kommunalpolitik ist Schmalstieg auch treu geblieben, wenn er außerhalb Hannovers Ämter übernommen hat, etwa im Präsidium des Deutschen Städtetages oder an der Spitze der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik (SGK). Präsident der europäischen SGK will er noch zwei Jahre lang bleiben. Auch die Sorgen, die er sich um die Zukunft macht, sind durchaus kommunaler Natur. Durch die Kluft zwischen Arm und Reich sei der „soziale Zusammenhalt in den Städten gefährdet“, sagt er. Und zudem drohe den Kommunen Unheil durch die geplante Unternehmenssteuerreform. Die Gewerbesteuer dürfe nicht abgeschafft, sie müsse revitalisiert werden.

JÜRGEN VOGES