DAUMENKINO
: „Zarte Parasiten“

Zwei, die nur sich und ein paar Utensilien besitzen, zapfen Wohlstandsbürger an

Manu und Jakob (Maja Schöne, Robert Stadlober) gehen zum Tanzen in die Stadt, zum Schlafen in den Wald. Sie wachen nicht in einem Zelt auf, sondern in einem tief gelegten, fachkundig ausgepolsterten Biwak, das uneinsehbar unter den Laubbäumen liegt. Das Pärchen hat sich halb wie auf Outdoor-Trip, halb wie klassische Berber in einer bildstarken Außenseiterexistenz eingerichtet. Das Warum scheint die beiden Autorenregisseure Christian Becker und Oliver Schabe (Letzterer auch Kamera) eher als Metapher zu interessieren. Ihr Titel „Zarte Parasiten“ deutet an, dass der Film auf ein poetisch-romantisches Gesellschaftsbild abhebt: Zwei, die nur sich und ein paar Überlebensutensilien besitzen, zapfen Wohlstandsbürger an und geben ihnen dabei etwas Zartes zurück: Jugend, Wärme, Zuwendung.

Die Drehbuchexistenz von Jakob und Manu sieht so aus: Tagsüber geht jeder seinen Geschäften nach oder hilft dem anderen – Handykontakt ist den zivilisationsfernen Jobsurfern wichtig. Die zupackende, spröde Maja, in die sich Maja Schöne mit wilder Entschlossenheit einfühlt, verbringt ihre Zeit gegen Geld mit dem Haushalt und der Körperpflege der bettlägerigen Frau Katz (Gerda Böken). Liebe mit Jakob auf dem Bettvorleger der Alten gehört gegen ein Extra auch schon mal dazu. Jakob dagegen nimmt den Job, in den er hineinstolpert, gefährlich ernst. Auf einem Segelflugplatz trifft er auf Martin, einen Mann im Väteralter, den Sylvester Groth mit einem schillernden Spektrum uneindeutiger Gefühle ausstattet. Zwischen Besitzerstolz, Misstrauen, Verletzlichkeit und ungeahnten Tiefen pendelnd ist er seinem hölzernen Schauspielpartner Robert Stadlober haushoch überlegen. Noch unausgewogener das Rollenverhältnis im Fall von Corinna Kirchhoff: Sie trägt als Martins Gattin Claudia eine säuerliche Leidensmiene zur Schau und steht steif in den Bildern herum, vielleicht fühlt sie sich angesichts der vagen Plausibilität des Drehbuchs im falschen Film. Vorsichtig entspinnt sich eine Geschichte abgespaltener Empfindungen in der Segelflieger-Zweisamkeit von Jakob und Martin. Das Ehepaar Claudia und Martin kommt vom Verlust ihres Sohns nicht los, dessen Zimmer für Jakob bereit zu liegen scheint. Martin nimmt den Zufallsbekannten allmählich als dessen Double an, was Jakob an die eigene verschüttete, im Film aber nur abstrakt umrissene Kindheitsgeschichte erinnert. Die Regression widerspricht jedoch den Spielregeln, die Manu einklagt, indem sie auftaucht, sich als Schwester ausgibt und das Theater der verschobenen Familiengefühle aufmischt. Ein schöner Drifter-Schluss folgt. Die Musik bleibt im Ohr.

CLAUDIA LENSSEN

■ „Zarte Parasiten“. Regie: Christian Becker & Oliver Schwabe. D 2009, 87 Min., 35 mm