AMERICAN PIE
: Totschlag auf Raten

GEHIRNSCHÄDEN Nach dem Selbstmord eines College-Spielers werden die Gesundheitsrisiken des American Football diskutiert

Owen Thomas war 21 Jahre alt. Er studierte an der University of Pennsylvania. Er war, so heißt es, beliebt bei den Kommilitonen. Er war 1,88 Meter groß und wog fast 110 Kilo. Er spielte Football in der Universitätsauswahl, den Quakers. Im April hat Owen Thomas sich aufgehängt.

Was zuerst wirkt wie ein zwar tragischer, aber gewöhnlicher Selbstmord, könnte langfristig dazu beitragen, den Status von Football als Amerikas beliebtester Sportart zu beschädigen. Und zwar nicht nur bei den Amateuren auf College-Ebene, sondern auch für die Profis in der NFL.

Tatsächlich war Thomas, bestätigte nicht nur seine Mutter Katherine Brearley, kein Suizidkandidat. „Er hatte keine Depressionen“, erklärte sie Reportern, „und es gab auch kein signifikantes Ereignis, das den Selbstmord hätte auslösen können.“

Kurz gesagt: Thomas war ein normaler, wenn auch ziemlich muskulöser Student. Er und ähnlich gebaute Mitstudenten ließen im Training ihre Köpfe gegeneinanderrasseln. Im Herbst rammten sie dann im heimischen Franklin Field vor 52.000 Zuschauern ihre Köpfe in die Studenten anderer Colleges. Ein wöchentliches Gladiatoren-Schauspiel, das den Universitäten Millionen Dollars Eintritts- und TV-Gelder einbringt.

Nun haben Forscher das Gehirn des Toten untersucht und festgestellt, dass er an Dementia Pugilistica litt. Die Krankheit, auch „Boxer-Syndrom“ oder „faustkämpferisches Parkinson-Syndrom“ genannt, wird vornehmlich bei Boxern, Football-Profis und Alkoholikern diagnostiziert. Das prominenteste Opfer bislang: Box-Legende Joe Louis. Seit dem Selbstmord von Andre Waters, Profi bei den Philadelphia Eagles, im Jahr 2006 wird die Krankheit auch in der NFL ernster genommen: Dementia Pugilistica wurde posthum in den Gehirnen von mehr als 20 Footballprofis diagnostiziert.

Das Syndrom führt zu Demenz und Sprachproblemen, zu Wahrnehmungsstörungen, Depressionen und Impulshandlungen. Das würde erklären, warum sich Thomas umbrachte: Er hinterließ keinen Abschiedsbrief und in seiner Hosentasche fand man noch sein Handy. Beides deutet darauf hin, dass er seinen Selbstmord nicht geplant hatte.

Bislang dachte man allerdings, nur Profisportler wären betroffen. Erst wer über Jahre professionell in den Ring stieg oder Football spielte, schien gefährdet. Der Fall Owen Thomas verändert diese Einschätzung radikal: Er ist der erste Amateur und der mit Abstand jüngste Sportler, bei dem Dementia Pugilistica festgestellt wurde. Thomas begann zwar schon als Neunjähriger mit dem Football, aber offiziell wurde nie eine Gehirnerschütterung registriert. Das führt zu der Vermutung, dass die Krankheit nicht nur bei heftigen Kopftreffern ausbrechen kann. Stattdessen können sich auch tausende von kleinen Kollisionen, wie sie auch Thomas in seinem Footballer-Leben erlitten hat, so summieren, dass die Sportler erkranken.

Der Arzt James Moriarity, an der University of Notre Dame für die Gesundheit der College-Athleten verantwortlich, findet es zwar schwierig, von einem einzigen Fall ausgehend weitreichende Schlüsse zu ziehen. „Aber wenn es einen direkten Zusammenhang gibt, dann würde das den Sport umbringen“, so Moriarity, „Eltern könnten doch nicht mehr rechtfertigen, ihre Kinder zum Football zu schicken.“

Darum sorgt sich auch Thomas’ Trainer. „Football ist offensichtlich ein Kontaktsport, deshalb kann so etwas passieren“, sagt Al Bagnioli, seit 1992 Coach der Quakers, „aber wir ergreifen alle Vorsichtsmaßnahmen, die uns zur Verfügung stehen.“

Hier beginnt das Dilemma, in dem sich der Football befindet. Zwar hat die NFL Richtlinien erlassen, Spieler vor allzu brutalen Kollisionen zu schützen und bei Gehirnerschütterungen aus dem Spiel zu nehmen. Aber die Brutalität gehört halt zum Football. Selbst die Eltern von Owen Thomas, die immerhin beide als Pfarrer christlichen Idealen verpflichtet sein sollten, stellen den Sport ihres toten Sohnes nicht grundsätzlich in Frage: „Es ist so traurig“, sagt Brearley, die die Todesumstände ihres Sohnes bewusst öffentlich macht, um andere Eltern zu warnen, „wir alle lieben Football. Wir lieben es, Football zu gucken. Wir lieben es, wenn die schweren Jungs aufeinanderprallen.“

Aktuell spielen ungefähr 4,4 Millionen minderjährige Amerikaner in Kinder- und Jugendligen oder in der High School Football. Irgendwo da draußen ist er, der nächste Owen Thomas, und sammelt Schläge auf den Kopf. THOMAS WINKLER