Der Neffe von Onkel Toni

TENNIS Mit dem US-Open-Finalerfolg gegen Novak Djokovic hat Rafael Nadal nun alle vier Grand Slams gewonnen, aber bleibt angesichts der Historie demonstrativ bescheiden

„Die Zahl der Titel sagt doch schon, dass Roger Federer besser ist als ich“

RAFAEL NADAL, US-OPEN-SIEGER

AUS NEW YORK DORIS HENKEL

Schade, dass alles immer so schnell gehen muss. Es hatte wirklich was Rührendes, als Rafael Nadal auf dem blauen Boden lag, die Hände über dem Kopf verschränkt, ein paar Augenblicke lang schluchzend wie ein fassungsloses Kind. Aber weil es zu den tragenden Elementen im Leben des besten Tennisspielers dieses Jahres gehört, höflich zu sein, sprang er schnell wieder auf, um sich bei Novak Djokovic für das gemeinsam erlebte Finale der US Open zu bedanken.

Dabei müsste er sich in aller erster Linie bei sich selbst bedanken. Für ein grandioses Turnier, in dessen Verlauf er nur einen einzigen Satz abgegeben hatte – jenen zweiten im Finale beim 6:4, 5:7, 6:4, 6:2. Am Anfang hatte die Hitze das Turnier im Griff, dann kam der stürmische Wind, am Ende, pünktlich zum Männer-Finale, fiel der Regen, nicht nur beim ersten Termin am Sonntag, sondern noch mal während des zweiten Versuchs. Aber das war alles nichts gegen die Naturgewalt Rafael Nadal. Mit dem US-Open-Titel hat der Spanier nun im Alter von 24 Jahren jedes Grand-Slam-Turnier mindestens einmal gewonnen. Das hatten vor ihm in der Ära des Profitennis nur Rod Laver, Andre Agassi und Roger Federer geschafft.

Das Phantom US Open ist also nach ein paar eher enttäuschenden Jahren nun besiegt, und Nadal sagt, er sei sehr, sehr glücklich über seinen Erfolg. Aber zu den Dingen, die ihm selbst in solchen Momenten gegen den Strich gehen, gehören die Versuche, seinen Platz in der Geschichte des Tennis zu definieren. Dass einer sich einfach nur über ein fantastisches Turnier freuen kann, kam den Amerikanern von Anfang bis Ende spanisch vor.

Auch in der letzten Pressekonferenz des Turniers kam sofort die Frage, ob denn nicht die Befriedigung über diesen kompletten Satz von vier Grand-Slam-Titeln viel größer sein müsse als alles andere. Woraufhin Nadal erwiderte: „Ja, ich weiß, für euch ist das sehr wichtig. Ich bin erst 24, für mich ist es das ein Traum, und ich hätte mir nie vorstellen können, tatsächlich mal alle vier zu gewinnen. Aber es ist ein noch größerer Traum, die US Open gewonnen zu haben.“

Die Vergleiche mit Federer lehnt er ohnehin ab: „Roger hat schon 16 Grand-Slam-Turniere gewonnen. Aber vor allem die 23 oder 24 Halbfinals in Folge, das war unglaublich. Ich glaube wirklich nicht, dass ich Rogers Level erreichen kann. Die Zahl der Titel sagt doch schon, dass er besser ist als ich. Das ist die Wahrheit im Moment, und ich denke, das wird auch immer die Wahrheit bleiben.“

Was die anderen denken, ist eine Sache, ihm geht es nur darum, der beste Nadal zu sein. Der Tennisweise John McEnroe meinte dieser Tage in New York bewundernd: „Ich hab seine Fähigkeit, an sich zu arbeiten, komplett unterschätzt.“ Er hatte es wie viele andere vermutlich für eine Floskel gehalten, dass Nadal immer sagte: Klar, Titel zu gewinnen ist schön. Aber wichtiger ist, sich ständig zu verbessern.

Aber genau das hat er getan. Im Laufe der Jahre ist er näher an die Grundlinie gerückt, fügte seinem Spiel einen effektiven Rückhand-Slice hinzu, verbesserte seine Volleys und veränderte zuletzt seinen Griff beim Aufschlag. Mit dem Erfolg, dass er sich während des ganzen Turniers wie nie zuvor auf diesen Aufschlag verlassen konnte. Das alles verbunden mit jener fast archaischen Dynamik auf dem Platz, die ihn noch größer und breiter aussehen lässt, als er ohnehin schon ist.

Auf dem Tennisplatz ist er ein verbissener Kämpfer, der immer so spielt, als ginge es um alles. Und das nicht nur in einem Finale, sondern auch auf dem Trainingsplatz. Abseits des Tennis ist er ein Softie, der Musicals lieber mag als Rockmusik und am allerliebsten auf seiner Insel Zeit mit der Familie und Freunden verbringt. Der zu jedem und jederzeit höflich ist und noch im größten Gedränge der Fans Autogramme schreibt, bis der Stift seinen Geist aufgibt.

Das alles gemäß der Maxime des einzigen Trainers, den er je hatte, Onkel Toni. Der sagt: „Ich bin glücklich, wenn Rafael gut Tennis spielt. Aber ich finde es schöner, wenn die Leute sagen, Rafael sei ein feiner Kerl.“ Da hat der Onkel in jeder Hinsicht ganze Arbeit geleistet.