Der unbekannte Bach

Wenn Carl Philipp Emanuel Bach seinen 300. Geburtstag am 8. März selbst erleben könnte, würde er sich bestimmt freuen, dass er hier und da mit Konzerten oder CD-Einspielungen bedacht wird. Zugleich würde er sich wohl etwas wundern, wenn er herausfände, dass die Mehrheit der Musikliebhaber mit dem Namen Bach nicht ihn, sondern seinen Vater Johann Sebastian assoziiert, ja viele ihn überhaupt nicht mehr kennen.

Das war mal anders. Zu Lebzeiten genoss der „Berliner Bach“, wie er für die Dauer seines Dienstes als Cembalist Friedrichs des Großen genannt wurde, größeren Ruhm als sein Vater. Dass C. P. E. Bachs Zeitgenossen in ihrem Urteil nicht vollständig danebenlagen, kann man jetzt an einer Einspielung des Rias-Kammerchors nachvollziehen, auf der Werke versammelt sind, die Bach 1786, zwei Jahre vor seinem Tod, in einem Hamburger Benefiz-Konzert dirigiert hat.

Am ehesten an den Stil seines Vaters angelehnt ist das „Magnificat“, das auch in der Form – eine Folge von Arien und Chören – an J. S. Bachs große h-Moll-Messe erinnert. Mit dem „Magnificat“ wollte der bis dahin mit Werken für Tasteninstrumente bekannt gewordene Hofmusiker sich auf eine interessantere Stelle als Kantor bewerben, wurde am Ende aber abgelehnt. An den Qualitäten der Komposition kann es kaum gelegen haben, wenn man sich die strahlend-klare und konzentriert-schlanke Interpretation des Chors und der Akademie für Alte Musik Berlin unter der Leitung Hans-Christoph Rademanns anhört, in der der feine und elegante Optimismus dieses Gotteslobs ganz selbstverständlich federnd zur Geltung kommt.

Das doppelchörige „Heilig“ zeigt einen vermeintlich schlichteren Bach, der seine „vertrauten“ und natürlichen Harmoniefolgen jedoch ausschließlich in den Dienst größtmöglicher Gesammeltheit stellt – und so eine überwältigende Wirkung erzielt. Der homogene Klang des Rias-Kammerchors trägt entscheidend zu diesem Ergebnis bei.

Schließlich kann man in der Sinfonie D-Dur Wq. 183/1 lernen, warum Bach seinerzeit als Originalgenie bezeichnet und von Komponisten wie Haydn und Mozart als Lehrer verehrt wurde. Sein melodiestimmenbetonter „empfindsamer Stil“, der mit der bis dahin üblichen Sinfonik brach und die Bläser stärker emanzipierte, ist wie eine Brücke zur Klassik. Bei Bach wurden orchestrale Ausdrucksmittel möglich, die zuvor unbekannt waren. Hier erklingen sie in vollendeter Präzision. Sie sind aber keine musikgeschichtliche Fußnote. Sie ergreifen einen auch heute noch. TIM CASPAR BOEHME

■ Carl Philipp Emanuel Bach: „Magnificat“ (Harmonia Mundi France)