St. Georg ist kein zweites Niendorf

Senatspläne zur „Vitalisierung“ von St. Georg stoßen auf ein geteiltes Echo. Während GAL und Einwohnerverein eine weitere Vertreibung der angestammten Bevölkerung befürchten, begrüßt der örtliche Bürgerverein die Maßnahmen

Als Stadtentwicklungssenator Michael Freytag (CDU) vergangene Woche ein „Vitalisierungs-Programm“ für St. Georg präsentierte, war der GAL-Bürgerschaftsabgeordnete Farid Müller nicht begeistert: „Hinter diesem Plan steckt die Frage, in welche Richtung sich St. Georg entwickeln soll“, glaubt Müller, der selbst in St. Georg lebt. Zwar sei es richtig, Geld in die Verbesserung des Wohnumfeldes im Stadtteil zu stecken, doch die Strategie hinter dem Senatsbeschluss laute „Vertreibung des Rotlicht-Milieus und die Verdrängung gesellschaftlicher Gruppen, die zu St. Georg gehören“.

Gerade die Mischung aus Normalos, Schwulen, Lesben, Menschen verschiedener Nationalitäten und auch Prostituierten aber mache „das einmalige Flair von St. Georg“ aus. „Wenn die Huren an den Stadtrand und in Gewerbegebiete vertrieben werden und Kleinverdiener sich bald die Miete in St. Georg nicht mehr leisten können, ist kein einziges Problem gelöst und der Charme dieses Stadtteils bedroht“, meint der Abgeordnete.

Dabei verkenne die GAL „das Problem der Zwangsprostitution nicht“ und wolle keinesfalls „jeden einzelnen Porno-Schuppen retten“. Doch Freytags Pläne liefen darauf hinaus, „aus St. Georg ein zweites Niendorf zu machen“.

So steht Müller dem Behördenkonzept, in dem kinderarmen Stadtteil verstärkt Familien ansiedeln zu wollen, skeptisch gegenüber: „Familien, die sich an dem stören, was dieses Quartier ausmacht, haben in Hamburg noch 100 andere Stadtteile, wo sie heimisch werden können“, erteilt der Parlamentarier der schönen, heilen Familienwelt St. Georg eine Absage.

In die gleiche Kerbe schlägt der Vorsitzende des alternativen Einwohnervereins St. Georg, Michael Joho. Nicht die Drogenszene und die Prostitution seien „das Problem, sondern die Aufschickung des Stadtteils, die durch das beschlossene Programm fortgesetzt“ werde. „Immer mehr Familien ziehen von hier nach Steilshoop und immer mehr Läden der Nahversorgung machen dicht, weil die Mieten explodieren“, weiß Joho.

Erst kürzlich seien Teile von St. Georg im Mietenspiegel als „gute Wohnlage“ eingestuft worden, eine soziale Erhaltungssatzung mit Mietpreisbindung sei vom Senat verweigert und stattdessen nur die Bausubstanz durch eine städtebauliche Erhaltungssatzung geschützt worden. „Alle Maßnahmen der Stadt zielen darauf hin, die angestammte Bevölkerung zu vertreiben und die Lange Reihe zur Hamburger In-Meile Nummer eins zu machen – wenn der Senat jetzt Familien mit Kindern ansiedeln will, dann trifft das nur auf gut betuchte Paare zu“, vermutet der Historiker.

Ganz anderer Meinung ist da der Vorsitzende des konservativer ausgerichteten Bürgervereins St. Georg, Helmut Voigtland. Er „begrüßt“ die beschlossenen Senats-Maßnahmen, die „seit Jahren überfällig“ seien. „Die Verdrängung der Dealer und des Rotlicht-Milieus wird von uns ausdrücklich gewollt“, betont der Anwalt. Marco Carini