MITBESTIMMUNG: DER SOZIALE FRIEDEN LÄSST SICH ERWEITERN
: Altes Denken ist keine Weiterentwicklung

Der soziale Frieden ist in Deutschland ein hohes Gut. In keiner Industrienation gibt es zum Beispiel weniger Streiktage als in Deutschland – und viele finden das gut so. Für den Konsens zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sorgt ein feingesponnenes Netz von Gesetzen und Regelungen. Bei der Lohnfindung dient die Tarifautonomie der Interessenvermittlung zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften. Und der Einflussnahme auf unternehmerische Entscheidungen dient die Mitbestimmung, die eine Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat vorsieht. Sie sorgt für Identifikation mit und Verantwortlichkeit für das Unternehmen in der Belegschaft. Aber diese mittlerweile 30-jährige Sozialpartnerschaft ist anfällig für Kungeleien, ein ritualisiertes Geben und Nehmen – und da muss nicht erst eine VW-Affäre passieren.

Die sogenannte Biedenkopf-Kommission beschäftigt sich nun mit der „Weiterentwicklung“ der Mitbestimmung. Doch schon die Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften zeigen die gedankliche Beschränktheit der Kommission auf die Frage: Wer bekommt mehr, wer bekommt weniger Macht? Da wird um die prozentuale Aufteilung des Aufsichtsrats gefeilscht. Da wird um die Stärke des Aufsichtsratsvorsitzenden gefeilscht. „Weiterentwickelt“ wird die Mitbestimmung nur in einem Rahmen, der über das bisherige Partnerschaftsmodell nicht hinausgeht. Da wird aber eine Frage ausgelassen: Welche Interessen vertritt ein solches Kontrollgremium überhaupt? Sind es künftig wieder nur betriebliche?

Wenn der soziale Frieden ein so hohes Gut ist, müsste er erweitert werden – dergestalt, dass hier, firmenbezogen, auch gesellschaftliche Interessen vertreten würden. Wie wär’s also mit Umweltschützern in den Aufsichtsräten? Antikorruptionskämpfern, Verbraucherschützern oder sogar Interessenvertretern der Arbeitslosen? Weder Arbeitgeber noch Gewerkschaften werden sich auch nur einen Machtsitz nehmen lassen. Sie vergeben damit aber die Chance, die Möglichkeiten der Mitbestimmung jenseits aller Machtansprüche auszuloten. THILO KNOTT