schurians runde welten
: Einwürfe gucken mit Herrn K.

“Ich habe mich in den letzten Tagen in Deutschland mit Leuten getroffen, die mir ausführliche Informationen über die Nationalmannschaft Moldawiens gegeben haben.“ (Otto Rehhagel)

Warum Herr K. darauf so erpicht war, dass er die flache Schachtel an seine Brust drückte, sie nervös von der einen in die andere Hand wandern ließ, sie mit den Fingern umklammerte, bis sich auf dem Plastik Kondenswasser bildete, warum Herrn K. die DVD so außerordentlich wichtig schien, sollte sich erst einige Tage später herausstellen. Als Herr K. Journalisten zu sich bat, um mit ihnen fernzusehen.

Das Ritual gehört heute dazu. Nach dem Spiel warten Trainer auf den Boten vom Sender, der ihnen die Aufzeichnung der gerade beendeten Partie zusteckt. Zu sehen ist darauf freilich genau das, was sich zuvor auch auf dem Rasen abspielte. Ungekürzt, ungeschnitten und nur aus einem Blickwinkel. Herr K. bevorzugt die Führungskamera, andere die Aufnahmen der Hintertorkamera. Und wenn am Abend endlich alle Pressefragen beantwortet sind, wenn der Besuch in der VIP-Zone genauso überstanden wurde wie der Gedankenaustausch mit dem Präsidenten, fahren Trainer wie Herr K. mit dem Auto nach Hause, legen die Scheibe in das Abspielgerät und versuchen zu verstehen, woran es wohl gelegen hat, dass es so ausging und nicht anders. Was haben sie nur gemacht, als es das alles noch nicht gab?! Keine Kameras, keine Speichermedien, keine DVD-Player.

Ich glaube, es war Franz Beckenbauer, der anfing, sich das Spiel minutiös für den Bildschirm zerlegen zu lassen. Ich habe mal Videokassetten angesehen, die Teamchef Beckenbauer seinerzeit anfertigen ließ, um sich und seine Mannschaft auf die WM 1990 vorzubereiten. Der also zu Unrecht als Hans im Glück geltende Fußball-Kaiser war so Film versessen, dass er sich sogar Einwurfvarianten von Ronald Koeman zusammen schneiden ließ. Ein gewisser Herr Loy hat ihm übrigens geholfen – heute sieht man den Mann häufiger vor der Kamera. Im DSF, dem Sender der Vergessenen.

Das Problem mit der Mattscheibe ist seine ungeheure Nützlichkeit. Wer schon einmal die Wahl hatte, von seinem Stadionsitz aus entweder auf den Rasen oder in einen Monitor zu blicken, weiß wie verlockend die aufgemotzten elektronischen Bilder sind. Vor allem die Zeitlupe. Und wie bei allen kleinen Helfern entsteht daraus Bequemlichkeit. Statt optischem Gedächtnis haben wir eine DVD.

Wenigstens gehen bei Herrn K. aus B. die Dinge noch nicht durcheinander. Auf die Frage, was sich auf der DVD befinde, „die Spielanalyse?“, antwortete der schweizerische Fußballlehrer ernst: „Nein, die mache ich immer noch selbst.“ CHRISTOPH SCHURIAN