Discomeile vor Gericht

Gestern begann der zweite Prozess um die Schießerei im Januar. Der Anwalt des Angeklagten hält das Gericht für nicht zuständig und wirft den Medien vor, seinen Mandanten im Vorfeld zu verurteilen

von Eiken Bruhn

Im Gerichtssaal stehen sie sich wieder gegenüber. L., der am 6. Januar 2006 aus der Stripbar „Tollhaus“ zehn Schüsse abgegeben haben soll, in eine Gruppe von Menschen, die im Eingang des „Beatclub“ stand. Und M., der bei der Schießerei im Türsteher-Milieu auf der Discomeile verletzt wurde – neben zwei weiteren Beteiligten und einem Discogast. Eine Kugel hätte damals seinen Fuß durchschossen, eine zweite stecke immer noch neben der Wirbelsäule, lässt M. gestern am ersten Tag des Prozesses gegen L. seinen Anwalt der Presse ausrichten. M. ist überzeugt, dass der eher schmächtige 24-Jährige auf ihn geschossen hat und will als Nebenkläger, dass dieser verurteilt wird.

Doch Opfer und Täter wechseln bei diesem Fall immer wiefreigelassender die Seiten. Denn auch L. wurde bei der Schießerei verletzt, er erlitt einen Durchschuss des Oberschenkels. Täter soll der Bruder von M. sein, sein Prozess findet derzeit parallel unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, weil er erst 19 ist und als Heranwachsender geschützt werden soll. Weitere Verwandte der beiden Brüder saßen gestern im Publikum. Wegen befürchteter Racheakte waren Polizisten auf der Zuschauertribüne, alle Prozessbeobachter mussten sich ausweisen und durch eine Sicherheitsschleuse. „Das sind alles Kunden von uns“, sagt ein Polizist über den Clan M., dessen Mitglieder angeben, aus dem Libanon zu stammen. Gerüchten zufolge soll der Clan in Revierkämpfe geraten sein mit einer Gang von Albanern, der auch L. angehören soll. Doch die Hintergründe der Schießerei waren gestern noch kein Thema. Das Gericht kam nur dazu, sich von einem Polizisten mittels einer Skizze die räumlichen Verhältnisse auf der Discomeile erklären und die Anklage verlesen zu lassen. Laut Staatsanwaltschaft hat L. den Tod von Menschen billigend in Kauf genommen, „ohne ein Mörder zu sein“.

Jetzt muss zunächst erst einmal geklärt werden, ob das Gefreigelassenricht überhaupt zuständig ist – was vom Rechtsanwalt des Angeklagten, Bernhard Docke, bezweifelt wird. Der Grund: Die beiden Richter, die eigentlich den Fall hätten übernehmen sollen, haben sich wegen Urlaubs vertreten lassen. Damit verstoße das Gericht gegen den Grundsatz, dass niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden dürfe, so Docke.

Der Rechtsanwalt, der auch die Familie des gerade aus Guantánamo freigelassenen Murat Kurnaz vertritt, gab auch den Medien eins mit. Sie hätten „Mythen“ über die Geschehnisse in der Januarnacht präsentiert und dabei das Gebot der Unschuldsvermutung verletzt. Anders als berichtet stünde überhaupt nicht fest, ob L. das Feuer eröffnet oder „nur“ zurückgeschossen habe, so Docke. „Wer hat den Showdown herbei geführt?“, sei die Frage, die während des Prozesses erst beantwortet werden müsse. Sein Mandant trug gestern nicht zur Klärung bei: Er nahm sein Recht zu schweigen in Anspruch.

Unklar ist derzeit offenbar auch noch, ob sich aus den noch andauernden Ermittlungen weitere Tatverdächtige herauskristallisieren werden. „Es könnten noch mehr geschossen haben“, sagte gestern Frank Passade, Sprecher der Staatsanwaltschaft. Auch der angeschossene M. glaubt, dass außer L. noch zwei weitere Personen auf ihn geschossen haben. Zudem habe es nach der Schießerei zwischen den beiden Bars noch einen zweiten Schusswechsel gegeben, so Passade. Dabei sei mindestens eine weitere Person verletzt worden. Der Prozess wird am Montag um neun Uhr fortgesetzt.