Das Kollektiv von der Insel

Am Samstag spielt Irlands Auswahl gegen die Deutschen. Das EM-Qualifikationsmatch ist für Coach Staunton etwas Besonderes. Denn in Stuttgart hat Irland Geschichte geschrieben

Sie führten das Klischee vom Kick-and-Rush ansehnlich ad absurdum

VON STEFAN OSTERHAUS

Sorgen hat Steve Staunton ja reichlich vor diesem Spiel gegen Deutschland am Samstag in Stuttgart (20.45 Uhr, ARD). Robbie Keane, dem Goalgetter von Tottenham, fehlt es noch ein wenig an der Form des Vorjahres, auch Damien Duff, der Trickser auf der Außenbahn, schwächelt ein wenig, seitdem Chelsea ihn zu Newcastle abschob. Und über allem steht die Frage, wie seine Combo das 0:4 gegen die Holländer verkraftet hat, das als Test vor dem Start in die Qualifikation dienen sollte. Aber Deutschland, das ist ein Ansporn, und Staunton reist gern an, denn seine Erinnerungen an Deutschland sind die allerbesten. 2002, bei der WM in Japan und Südkorea, trotzte er den Deutschen ein 1:1 ab, nicht als Trainer, sondern als Spieler. Und wie alle Iren hält er das Stadion, das heute Gottlieb-Daimler-Stadion heißt, für einen besonderen Ort.

Denn eigentlich, das sagen sogar jene, die zu den Spielen von Cork City mit derselben Inbrunst pilgern wie andere zum FC Liverpool, erlebte der irische Fußball in Deutschland eine zweite Geburt. Vor mehr als 18 Jahren begann sie, die neue Zeitrechnung, und man kann sie nicht nur auf den Tag genau datieren, sondern auf die Stunde, ja sogar auf die Minute. Es war der 12. Juni 1988 im Stuttgarter Neckarstadion, ein Sonntag. England und Irland trafen sich zum ersten Spiel der Gruppe B bei der EM in Deutschland, Anpfiff 15.30 Uhr, und schon nach 6 Minuten schoss Ray Houghton den Ball zum 1:0 für die Iren ins Netz, wobei es bis zum Abpfiff blieb. Und nichts ist schöner als ein Sieg gegen England, ganz gleich von wem, meinte auch Deutschlands nobelster Fußballfan Walter Jens. Für das Periodikum Sports griff er in die virtuelle Harfe und sang ein Heldenlied vom irischen Torwächter: „Genötigt, einem die Krone zu geben, entscheide ich mich für den König der Könige, Keeper Bonner von Celtic Glasgow.“

Ihr Trainer war ein Engländer: Jack Charlton, Bruder des berühmten Bobby und wie dieser Weltmeister von 1966, verblüffte die Fachwelt ein ums andere Mal. Es war ein kompaktes Kollektiv, dessen Anführer der damalige Weltklasse-Angreifer John Aldridge vom FC Liverpool war und das sich auf die Fangkünste des überragenden Keepers Pat Bonner verlassen konnte. 1990 in Italien überstanden die Iren bei ihrer ersten WM-Teilnahme die Gruppe mit Holland erfolgreich. Im Achtelfinale wartete Rumänien, und Bonner, der König von Stuttgart, hielt einen Elfer vom Rumänen Timofte, der seitdem in Dublin weltbekannt ist. Das Aus kam erst gegen Italien in der nächsten Runde, aber den größten Coup landete Charlton mit seiner Mannschaft, die „Jack’s Army“ genannt wurde, 1994, als sie in der Vorrunde den späteren Finalisten Italien schlugen. Wieder überstanden sie die Vorrunde.

Seitdem sind die Referenzpunkte gesetzt im irischen Fußball. Als Charlton nach der verpassten Qualifikation für die Euro 1996 das Handtuch warf, wechselte der einstige Internationale Mick McCarthy auf die Trainerbank – und überwand eine immerhin sechs Jahre währende Dürreperiode. Bei der WM in Japan und Südkorea stießen sie bis ins Achtelfinale vor und führten das alte Klischee vom Kick-and-Rush sehr ansehnlich ad absurdum, denn McCarthy wusste das Tempo, das seine Spieler aus der Premier League gewohnt waren, mit gutem Direktspiel zu verbinden.

Umso größer war die Skepsis in Irland, als der irische Verband als Nachfolger McCarthys einen Mann berief, der ausgerechnet von Big Jack Charlton nicht sonderlich geschätzt wurde. Schon anlässlich seiner Vorstellung fragten die Kommentatoren, ob er der Richtige sei, um die Mannschaft zur WM nach Deutschland zu führen. Anfängliche Zweifel bestätigten sich, denn Brian Kerr scheiterte trotz guter Ausgangslage – ein 0:0 gegen die Schweiz bedeutete das Aus für ihn.

So schien es beinahe zwangsläufig, dass mit Steve Staunton die Verantwortung wieder bei einem der alten Helden liegt. Staunton ist zwar erst 37 Jahre alt und blickt auf eine bescheidene Karriere als Klubtrainer zurück. Nur ein Jahr war er beim FC Walsall Ko-Trainer und Spieler in Personalunion, doch die Verfechter des neuen Mannes führen an, dass niemand Irlands Fußball besser kennt als Staunton. Seit 1990 gehörte er der Nationalmannschaft an, in Italien absolvierte er alle fünf Spiele. 2002, nach dem Aus im Achtelfinale bei der Weltmeisterschaft gegen Spanien, gab er seinen Rücktritt aus der Nationalelf bekannt. Seine 102 Länderspiele bedeuten irischen Rekord. In Stuttgart darf sich Staunton auf traditionelle irische Werte verlassen. Die Reflexe des Keepers Shay Given von Newcastle United sind exzellent, und mit Duff und Keane verfügt er über zwei hervorragende Offensivkräfte. Den Rest muss das Kollektiv besorgen – und wem sind solche Methoden besser vertraut als Steve Staunton?