Das Team siegt, der Vorstand wütet

CHAMPIONS LEAGUE Bayern spielt Rom müde, gewinnt und fühlt sich weiterhin von der Uefa zu Unrecht an den Pranger gestellt

MÜNCHEN taz | Der Stachel von Madrid, er sitzt noch tief bei Louis van Gaal. Sehr tief. Der Mann, in dessen Weltbild die Niederlage nur in Verbindung mit anderen Menschen existiert, hatte bis dahin eine prima Pressekonferenz gehabt, das 2:0 seiner Bayern gegen die Catenaccio-Gedächtnis-Truppe aus Rom schön erklärt („Wir haben sie kaputt gespielt“), als ihn ein italienischer Reporter fragte, ob das nun die Revanche für die Finalniederlage gegen Inter gewesen sei. „Ha!“, kehlte der Holländer, „Rom hat gespielt wie Inter: mit zehn Mann hinter dem Ball. Da ist kein Unterschied. Wenn Ihnen das gefällt – mir gefällt das nicht.“ Was van Gaal gefallen würde, ist klar: sozusagen ein Finalrückspiel gegen José – natürlich mit dem Sieger van Gaal.

Wenig überraschend war schon beim Champions-League-Auftakt des FC Bayern die Rede vom Endspiel. „Wer im Finale war, will da so schnell wie möglich wieder hin und es auch gewinnen“, meinte Sportdirektor Christian Nerlinger vor dem Anpfiff. Bis dahin wird es wohl noch ein bisschen dauern. Der erste Schritt Richtung nächste Runde ist jedoch gemacht, was sich gegen die Spielverhinderer aus Rom jedoch schwer anließ. Knapp 70 Prozent Ballbesitz für die Gastgeber vermeldete die Uefa-Statistik: kontrollierte Offensive à la van Gaal. Doch die überwiegend quer hin und her geschobenen Pässe der Bayern entlockten der römischen Zehnerkette nur ein müdes Gähnen. Einzig der mittlerweile in Statur und Bewegungsradius an einen Stadtpark-Kicker erinnernde Exweltstar Francesco Totti (34) hielt einsame Wacht am Mittelkreis. Harm- und hilflos wirkte der deutsche Meister gegen den römischen Zehnerblock. Frei von Esprit oder zumindest zwingenden Aktionen dümpelte die erste Hälfte dahin, und als man zur Pause in die Kabine schlurfte, hatte die frühere Tormaschine FC Bayern seit fünf Halbzeiten nicht mehr den Kasten getroffen.

Nur gut, dass die Münchner wussten, wie es weitergehen würde. Kapitän Mark van Bommel: „Man hat gesehen, dass der Gegner das nicht mitlaufen kann, wenn man 90 Minuten so spielt.“ Musterschüler Bastian Schweinsteiger dozierte: „Wir haben vielleicht nicht so viele Torchancen herausgespielt, haben es aber geschafft, den Gegner müde zu machen. Damit haben wir ihn sozusagen bereit gemacht für die zweite Halbzeit. Ab der 60. Minute haben wir gemerkt, dass die Italiener müde sind, und haben dann die Tore gemacht.“ Van Gaals Wortschöpfung vom „kaputtspielen“ klang zwar lustiger, meinte aber dasselbe. Die Treffer von Thomas Müller (79.) und Miroslav Klose (83.) fielen fast zwangsläufig, und eigentlich hätte auch der aus allen Lagen schießende Toni Kroos einen Treffer verdient gehabt.

So aber musste der Coach mal wieder seinen unermüdlichen Liebling für seinen formidablen Außenristtreffer in den Fußballhimmel loben: „Von Thomas Müller können wir immer ein Tor erwarten. Er ist immer da, er hat diese Leidenschaft – das ist es, was ich an ihm liebe.“ Nach seinem Tor bat Müller wie verabredet um seine Auswechslung – und van Gaal gehorchte: „Er hat es schwer momentan. Wenn er mit zu viel Kraft würde spielen müssen, wollten wir wechseln. Und wenn er das dann anzeigt, dann mache ich das. Er ist jetzt der Chef, nicht mehr ich.“

Weniger zu Scherzen ist derzeit der Bayern-Vorstand um Karl-Heinz Rummenigge aufgelegt: „Uns wird von den Uefa-Mitarbeitern Peter Limacher und Robin Boksic unterstellt, das Uefa-Cup-Halbfinale 2008 an St. Petersburg verkauft zu haben. Das Magazin Stern hat uns diese Behauptungen mitgeteilt. Da sind ungeheuerliche Behauptungen dabei. Bei Uli Hoeneß, Karl Hopfner und einem Spieler soll die Staatsanwaltschaft demnach Hausdurchsuchungen durchgeführt haben. Bei einem Spieler sollen eine Million Dollar in Cash und Kokain gefunden worden sein. Außerdem soll auf einem Konto des FC Bayern ein zweistelliger Millionenbetrag eingegangen sein. Das sind Dinge, die wir uns nicht gefallen lassen können. Das sind ja keine Kinkerlitzchen.“ Der FC Bayern hat Strafanzeige gegen Limacher und Boksic erstattet und von der Uefa „eine lückenlose Aufklärung“ gefordert. Noch so ein Stachel, der tief sitzt. Sehr tief.

THOMAS BECKER