„Ich wette, der Börsengang findet nicht statt“

Der europäische Vergleich zeigt: Die Privatisierung der Bahn kann für mehr Fahrgäste sorgen, sagt Christian Böttger. Die beiden Privatisierungsmodelle für die Deutsche Bahn taugen dafür aber nicht – das Netz muss beim Staat bleiben

taz: Die Deutsche Bahn AG soll an die Börse. Macht das Ihrer Meinung nach denn Sinn?

Christian Böttger: Der Börsengang des gesamten Konzerns ist eine Schnapsidee. Daran hält man in der Regierung wohl nur deshalb mit Begeisterung fest, weil man das in den Koalitionsvertrag reingeschrieben hatte.

Finden Sie einen Börsengang grundsätzlich falsch?

Es ist eine Glaubensfrage, ob staatliche Unternehmen privatisiert werden sollten. Ich persönlich halte die Privatisierung von Transportgesellschaften für sinnvoll. Der Staat sollte Leistungen, die er benötigt, im Wettbewerb kaufen. Wir sehen, dass dort, wo man das gemacht hat, der Bahnverkehr besonders stark angestiegen ist. Beispiele sind Schweden und England, wo trotz eines völlig heruntergewirtschafteten Netzes ein Fahrgastzuwachs von 40 Prozent erreicht wurde.

Zur Zeit sind in Deutschland noch zwei Privatisierungsmodelle im Gespräch. Welches sollte umgesetzt werden?

Das Ziel, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen, ist mit beiden Modellen nicht zu erreichen. Insofern halte ich absolut nichts von den Plänen. Es wäre unter den gegebenen Bedingungen sinnvoller, weiterzuwirtschaften wie bisher und auf eine Regierung zu hoffen, die ordnungs- und verkehrspolitisch mit mehr Verständnis an die Frage rangeht.

Danach sieht es aber nicht aus. Welche Konsequenzen erwarten Sie?

Nach wie vor hätte der Staat die Risiken zu tragen, während die Gewinne privatisiert würden. Die DB hätte direkten Zugriff auf das Netz und die staatlichen Investitionen in die Schiene. Damit würde jeder andere Wettbewerber benachteiligt.

Profitiert denn wenigstens die Staatskasse beim Verkauf?

Ich persönlich würde darauf wetten, dass ein Börsengang unter diesen Umständen gar nicht stattfindet. Allenfalls wenn der Staat noch einmal kräftig drauflegt und man die DB im Grunde verschenkt, wird es Interessenten geben. Die Einnahmen für den Staat wären dann gleich null.

Gibt es Pläne, wie man Investoren anlocken will?

Derzeit wird im Verkehrsministerium eine Finanzierungsvereinbarung ausgearbeitet, wie sie Investoren gefallen dürfte: Die DB soll 2,5 Milliarden im Jahr bekommen – vielleicht bei Bedarf sogar mehr – und müsste nicht mal sagen, wie viel Schienen sie dafür betreibt. Sie könnte Netzteile stilllegen und bekäme dennoch für das Gesamtnetz einen fixen Betrag. Da versucht das Verkehrsministerium, am Parlament vorbei Durchführungsbestimmungen auszuarbeiten.

Und Fahrpreiserhöhungen wird es bestimmt auch bald geben, weil die Investoren ja eine Rendite haben wollen?

Mit Preiserhöhungen muss man wohl erst mal nicht rechnen, weil sonst zu viele Leute nicht mehr Bahn fahren und ins Auto umsteigen. Zu befürchten ist aber, dass die DB schon jetzt überall spart, um für den Börsengang gute Zahlen zu präsentieren. Es besteht der dringende Verdacht, dass das Netz auf Verschleiß gefahren wird. Bis man das merkt, dauert es mehrere Jahre. Es ist schwer zu prognostizieren, wann uns das voll trifft. Es gibt die Schreckensbeispiele Australien und Neuseeland, wo Schienen und Betrieb in einigen Regionen privatisiert wurden. Die Investoren haben viel zu wenig fürs Netz getan – und als die Infrastruktur hinüber war, hat man den Staat vor die Alternative gestellt: Entweder rückt er wieder viel neues Geld für die Reparatur der Schienen raus oder der Eisenbahnbetrieb wird eingestellt.

Wofür plädieren Sie?

Die Infrastruktur muss beim Staat bleiben. Es handelt sich um ein Monopol und der Staat muss definieren, wie viel Eisenbahninfrastruktur es geben soll. Dann sollte der DB-Konzern in Einzelteilen verkauft werden. Das ist auch für den Staat finanziell attraktiver, weil der Kapitalmarkt keine Konglomerate mag.

Aber der Fernverkehr wäre doch gar nicht konkurrenzfähig. Kein privater Investor steigt da ein – und wenn, dann würden sofort viele Verbindungen gestrichen.

Ich bin überzeugt, dass man durch entsprechende Rahmenbedingungen den Fernverkehr im gegenwärtigen Umfang erhalten kann. Einige attraktive Hauptstrecken wären profitabel, und hier könnte der Staat einen Teil der Gewinne durch Konzessionen abschöpfen. Ansonsten wäre es sinnvoll, zum Beispiel den gesamten Nord-Süd-Verkehr als Bündel auszuschreiben. Der Staat müsste dann als Besteller auftreten und einem Eisenbahnunternehmen für eine Zeit eine Konzession geben – ähnlich wie heute beim Regionalverkehr.

Auch die Fahrpreise müssten in bestimmtem Rahmen unter staatlicher Kontrolle bleiben. Den Fernverkehr auf solche Strecken zu reduzieren, mit denen sich unmittelbar Gewinne erwirtschaften lassen, ist verkehrs- und umweltpolitisch sicher nicht vertretbar.

INTERVIEW: ANNETTE JENSEN