Das wichtigste Spiel aller Zeiten

Wenn der FC St. Pauli und der Hamburger SV am Sonntag am Millerntor aufeinandertreffen, geht es um mehr als nur um drei Punkte. Die beiden Vereine pflegen seit ein paar Jahrzehnten eine heiße Rivalität

Weit mehr als 100.000 Tickets hätte der FC St. Pauli für das Heimspiel gegen den HSV verkaufen können, das erste Derby am Millerntor seit dem dem 11. März 1962, doch nur 24.000 Zuschauer finden Platz. Längst werden Tickets im Internet für Phantasiepreise angeboten – ab 179 Euro pro Stehplatz auf der Nordtribüne, rund 600 Euro für einen Business-Seat im Süden – und gehen weg wie warme Semmeln.

Mitte August campierte eine halbe Fan-Hundertschaft eine regennasse Nacht lang vor dem Kartencenter am Heiligengeistfeld um die wenigen frei verkäuflichen Tickets zu erwerben. Und der HSV brauchte nicht länger als fünf Minuten, um die ihm zugeteilten 2.100 Gästetickets loszuwerden. Ein Sieg gegen den HSV vor heimischer Kulisse, das wäre für manchen St. Pauli-Fan noch wichtiger als der Klassenerhalt am Saisonende. Und für viele HSV-Anhänger ist die Vorstellung, vom kleinen Rivalen besiegt zu werden, die schlimmste vorstellbare Demütigung. Die Rivalität zwischen den Fans beider Hamburger Vereine ist ausgeprägt.

Das war nicht immer so. Jahrzehntelang hatte der Hamburger Fußballinteressierte zwar einen Lieblingsverein, drückte aber auch dem anderen Club die Daumen, wenn es nicht gerade gegeneinander ging. Heute im Volkspark und nächstes Wochenende dann am Kiez Fußball gucken – das war ganz normal. Die Rivalität zwischen beiden Vereinen prägte sich erst in den siebziger und achtziger Jahren aus, als zuerst der HSV unter seinem damaligen Präsidenten Peter Krohn zum Eventclub geformt wurde und später dann immer mehr Autonome und Totenkopfflaggen am Millerntor auftauchten. Kein Klischee, das nicht bemüht wurde: Hier die tumben, fremdenfeindlichen Hooligans, dort die arbeitsscheuen, autonom-punkigen Zecken; hier die hanseatischen Pfeffersäcke und Spießer, dort die selbsternannten Nicht-Etablierten und ewig Kreativen. Hier die überbezahlten Fußball-Söldner, dort die mindertalentierten Rumpelfüßler mit Herzblut.

Meist trennten beide Vereine Klassen. Seit Einführung der Bundesliga spielte der HSV immer, St. Pauli nur insgesamt sieben Jahre in der Elitestaffel. Und jedes Mal mussten die Braun-Weißen ihre Heimspiele in den Volkspark verlegen – zuerst aus ökonomischem Zwang, später dann aus Sicherheitsgründen.

In insgesamt 14 Spielen im Volkspark gab es nur einen einzigen Sieg für St. Pauli, auch der über dreißig Jahre her: Der legendäre 2:0-Erfolg gegen Magath, Keegan und Co am 3. September 1977 ist für viele St. Paulianer das allerwichtigste Spiel in der hundertjährigen Vereinsgeschichte des Hamburger Stadtteilclubs. Wer nicht weiß, dass Franz Gerber und Wolfgang Kulka die Torschützen waren, wird bis heute nicht als echter Fan akzeptiert. Dass St. Pauli am Saisonende abstieg und mehr als zehn Jahre in den Niederungen der zweiten und dritten Ligen verschwand, ist dagegen längst vergessen. MARCO CARINI