: Ein Hauch von Skandal
Direkte Fragen und klare Antworten: Thomas Wartmanns Dokumentarfilm „Between the Lines“ über die Hijras – Indiens geheimnisvolles drittes Geschlecht
Hijras sind das dritte Geschlecht Indiens. Hijras existieren, seit es Mann und Frau gibt. Sie leben in ökonomisch-spirituellen Gemeinschaften und organisieren sich ihr Einkommen aus Tanzvorführungen, rituellen Segnungen für Neugeborene und Heiratende und Sexarbeit. Sie hatten es in der Kolonialzeit schwer mit den britischen Behörden, die für eine sexuelle Zwischenstufe wenig Sinn hatten. Die Anthropologin Serena Nanda hat 1990 eine ethnografische Studie über diese Community geschrieben. Es sind nach ihrer Definition homosexuelle Männer, die eine weibliche Persona annehmen und getrennt von der Mehrheitsgesellschaft unter der Führung eines Gurus leben. Trotz der marginalen und nicht selten mit Gewalt sanktionierten Position der Hijras meint Nanda: „Da der Hinduismus immer fähiger als der Westen war, sich auf Gender-Variationen, -Ambiguitäten und -Widersprüche einzustellen, haben die Hijras einen Platz in der indischen Gesellschaft als ein lebensfähiges und anerkanntes drittes Geschlecht.“ Allerdings sind nicht wenige indische Hijras Muslime.
Ein Dokumentarfilm „Between the Lines“ über die Hijras, ursprünglich fürs Fernsehen gedreht, kommt jetzt ins Kino. Der Münchner Regisseur Thomas Wartmann gibt zu, wie schwer ihm der Zugang zu dieser Welt fiel: „Anfangs war ich eher skeptisch. Zu fremd erschien mir diese Zwischenwelt, komplett unzugänglich: weibliche Seelen in männlichen Körpern, manieriert, schrill, obszön, provokant immer umgeben von einem Hauch von Skandal.“ Erst als er die junge indische Fotografin Anita Khemka traf, die schon eine längere Fotoarbeit über einen älteren Hijra-Guru gemacht hatte und sonst auch Teenager, HIV- und psychisch Kranke fotografiert, fand er einen dramaturgischen Einstieg. Anita läuft nun schlicht in eine schwarze Khurta gekleidet durch den Film, stellt unverklemmt grundlegende Fragen an die Hijras und bekommt ebenso direkte Antworten. Sie nimmt Kontakt auf mit den drei Protagonistinnen: der verschlossenen älteren Asha, die ihren Schmerz auch gelegentlich mit Alkohol betäubt, der jungen Rambha, die die Schrecken ihrer Lebensgeschichte mit einem scheuen hinreißenden Lächeln erzählt, und mit Laxmi, die als Bollywood-Choreografin arbeitet und sich nicht für eine Kastration entscheiden möchte, weil sie lieber ein Doppelleben mit Hijra-Community und biologischer Familie leben möchte.
In diesen Begegnungen liegt die Stärke des Filmes. Laxmi wirft die vielen Fragen zurück an die Fotografin und damit auch an die so streng geschlechtergetrennte indische Gesellschaft: „Seid ihr so frei wie wir? Ich kann mir alle Männer der Welt ansehen, ohne mich zu rechtfertigen. Die Männer wissen, dass wir Sexobjekt sind. Das zieht sie an, sie wissen, worum es geht, was zwischen den Zeilen steht. Sie mögen das. Es geht um analen Penetrations-Sex. Frauen haben immer diese Scheu in den Augen. Von den Frauen wird verlangt, dass ihnen Sex keinen Spaß macht.“ Das größte Druckmittel, die Drohung, vor der alle klein beigeben, wenn eine Hijra es mit unwilligen Geldgebern zu tun hat, beschreibt eine Protagonistin so: „Sie fürchten sich davor, dass ich ihnen meine Ramilla zeige: das abgeschnittene Ding.“MADELEINE BERNSTORFF
Eiszeit-Kino, Zeughofstr. 20, Kreuzberg, 18.30 Uhr
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