deutsch-türkischer dialog
: Philosophen zu Besuch

Morgens, in einem Seminarraum der Freien Universität. 28 Jugendliche gähnen. Einige haben den Kopf auf die Bank gelehnt, andere malen die Hand des Nachbarn an. In der nächsten Minute sind sie jedoch hellwach: Jetzt dürfen sie philosophieren.

Die Schüler im Alter zwischen 17 und 19 Jahren kommen aus Berlin und Istanbul. Eine Woche lang diskutieren sie über die Themen „Tradition und Selbstbestimmung“, „Gleichheit und Verschiedenheit“ sowie „Anpassung und Toleranz“. Damit das gut funktioniert, sind die Jugendlichen in drei Gruppen aufgeteilt. Berk Aykat sitzt in der Runde, die heute über „Tradition und Respekt“ spricht. Der 17-Jährige besucht die Deutsche Schule Istanbul und hat schon Schopenhauer gelesen. Ihm gefällt das Philosophieren sehr gut: „Wir haben uns alle Schaubilder und Definitionen selbst erarbeitet. Hier zeigt uns keiner wie in der Schule ein Buch und sagt: ‚So ist es.‘ “

Horst Gronke leitet einen der Gesprächskreise und passt auf, dass sich alle verstehen. Er ist Dozent am Philosophischen Institut der FU und hat das Projekt zusammen mit seinem Kollegen Sabir Yücesoy konzipiert. Seit Jahren führt Gronke philosphische Gespräche, unter anderem mit Häftlingen in Tegel. Er hofft, dass die Jugendlichen lernen, „dass man viel gewinnen kann, wenn man aufeinander hört“. Damit es nicht zu abstrakt wird, besichtigen die Jungphilosophen an den Nachmittagen die Stadt – das Jüdische Museum etwa oder die Hedwigskathedrale.

Für das Projekt konnte er finanzielle Unterstützer gewinnen. Die Reisekosten übernimmt die Körber-Stifung im Rahmen des Programms „Deutsch-Türkischer Dialog“. Kosten für die Unterkunft der Besucher aus Istanbul fallen nicht an, die Schüler wohnen bei Gastgebern.

Christoph Luttenberger von der Evangelischen Schule Frohnau hatte sich vor dem Projekt mit Philosophie noch nicht befasst. Er ist froh, sich dafür beworben zu haben: „Hier ist es anders als im Schulgespräch, und man lernt viel mehr über andere Kulturen.“ Im November besuchen die Berliner ihre Mitphilosphen für eine Woche in Istanbul. Ihre Diskussionen führen sie in der Zwischenzeit in einem Onlineforum fort. MARLENE WOLF