„Grandios! Welterfolg!“

LEBENSANARCHIE Rafael Horzon ist Bildungsutopist und erfolgloser Unternehmer. Nun hat er ein Buch über sein seltsames Leben geschrieben. Was passiert, wenn einen die Freiheit überwältigt

■  Biografie: Rafael Horzon, 1970 in Hamburg geboren, ist verheiratet und hat nach eigenen Angaben zwei bis drei Kinder. Er studierte Latein, Philosophie und Atomphysik in Paris, München und Berlin. Mitte der 90er zieht Horzon in ein Berlin, in dem jeder macht, was er will.

  Unternehmen: Von Freiheit inspiriert, gründet er diverse sinnlose Unternehmen zwischen Lebensperformancekunst und Geschäftswillen: eine Partnertrennungsagentur, ein Apfelkuchen-geschäft, das Modelabel Gelée Royale. Einzig mit seinen Regalen von Moebel Horzon verdient er Geld.

  Bildungsutopie: Horzon gründete 1997 die „Wissenschaftsakademie Berlin – Elite Universität“. Auch überregional bekannt, gab es bis 2007 ein Kursangebot. Darunter skurrile, auch von Wissenschaftlern gehaltene Seminare, etwa über das Sozialverhalten von Berberaffen. Oder Massenselbstmord als Gesellschaftutopie. Ein Diplom etwa in Gesellschaftsdesign gab es nach vier Seminaren.

  Buch: „Das weiße Buch“, das so heißt, weil Gaddafi ein grünes und Mao und C. G. Jung ein rotes Buch geschrieben haben, erscheint am 23. September bei Suhrkamp.

INTERVIEW INGO ARZT

Berlin-Mitte war damals noch ein großes Trümmerfeld. Die Bewohner hatten sich nach dem Krieg nicht damit aufgehalten, ihre zerbombten Häuser wieder aufzubauen. Sie hatten einfach die zerbrochenen Schaufenster ihrer Läden ganz herausgeschlagen und die Öffnungen zugemauert. Dahinter verkauften sie Rinde, die Scherben ihrer Fenster und Molkepulver. Fünfundvierzig Jahre lang. Dann kamen junge Menschen aus dem Westen, besetzten die leergebliebenen Läden und Wohnungen und verkauften den anderen jungen Menschen, die nach Berlin kamen, Getränke.“ So beschreibt Rafael Horzon in seinem Buch die Zeit, in der er beschloss, kein normales Leben zu führen. Seinen Laden für „System-Lüftung“ hat er umgebaut. Es ist jetzt eine „Sach und Fach Buchhandlung“. Sämtliche Regale sind mit einem einzigen Buch gefüllt: mit seinem eigenen.

taz: Herr Horzon, wie ist es, inmitten seiner eigenen Bücher zu stehen?

Rafael Horzon: Sehr gut! Ich bin ja nun ein sehr bekannter Autor! Es ist ein grandioser Erfolg!

Begann nicht jede Ihrer gescheiterten Geschäftsideen mit dieser Euphorie?

Nun gut, es gab nach den Regalen von Moebel Horzon eine Reihe von spektakulären Fehlschlägen. Meine Partnertrennungsagentur, mein Fachgeschäft für Apfelkuchenhandel. Das Problem war wahrscheinlich, dass ich den Erfolg zwingen wollte, aber Erfolg lässt sich nicht zwingen, und auch nicht planen. Mit dem Buch ist alles anders: Ich hatte den Erfolg nicht geplant und plötzlich wird es ein Weltbestseller.

Es ist noch nicht erschienen.

Stimmt.

Zu Beginn Ihres Buchs träumen Sie als junger Mann 125 Nächte hintereinander von einer prall gefüllten Geldbörse. Sind Sie immer noch besessen vom Reichtum?

Ja.

Das ist enttäuschend. Ihre Wissenschaftsakademie Berlin hatte Ideale. War alles nur eine Berlin-Mitte-Spinnerei?

Nein. Es gab einen ernsthaften Hintergrund, nämlich Missstände an den Universitäten, die ich mit einem ernsthaften Gegenmodell beheben wollte. Dazu gehörte der Wegfall von Zugangsbeschränkungen und Studiengebühren. Vor allem war mir wichtig, dass die Studenten so wenig Zeit wie möglich in der Akademie verbringen. Die Zeit außerhalb der Hörsäle ist wesentlich fruchtbarer als die innerhalb.

Ist aber nichts daraus geworden. Seit 2007 gibt es die Akademie nicht mehr.

Die Akademie ist ja auch Beispiel einer größeren Vision. Ich nenne sie die Neue Wirklichkeit. Diese Neue Wirklichkeit müssen wir unbedingt anstreben! Aber ich alleine kann das nicht umsetzen. Die Akademie war ein Beispiel, das ich gegeben habe. Jetzt müssen andere Menschen neue Ideen entwickeln, viele Bausteine zusammensetzen, damit die Neue Wirklichkeit Wirklichkeit werden kann.

Und was machen Sie dann?

Ich gehe ab jetzt nur noch spazieren. Bin ja schon sehr alt, ich ziehe mich zurück.

Wenn Sie noch mal jung wären, könnten Sie sich heute so ausleben wie in den 90ern?

Zum Glück muss ich mir darüber keine Gedanken machen. Ich möchte nicht noch einmal jung sein, ich würde ja alles noch einmal genauso machen. Weil ich immer alles richtig gemacht habe! Abgesehen davon glaube ich nicht, dass früher alles besser war. Früher war alles schlechter. Früher gab es Sklaverei – heute nicht. Früher gab es Höhlen – heute gibt es Häuser. Die Leute sollten aufhören, den alten Tagen hinterherzutrauern.

Ihr Kumpel, der Autor Christian Kracht, hat bei Harald Schmidt mal gesagt: Berlin ist die schrecklichste Stadt der Welt. Sind Sie böse auf ihn?

Ach, das hat er bestimmt nur gesagt, weil er auf einen Kaugummi getreten ist oder so, er ist ja sehr empfindlich. Ich finde, Berlin ist die beste Stadt der Welt. Zumindest ist es die einzige, in der man die Neue Wirklichkeit beginnen könnte.

Obwohl heute alle so schnöselig geworden sind in Mitte?

„Früher war alles schlechter. Früher gab es Sklaverei, heute nicht. Früher gab es Höhlen, heute gibt es Häuser“

Es sind immerhin viele junge Leute hier, die nicht wissen, was sie wollen. Das ist ein sehr mächtiges Potential! In Paris zum Beispiel weiß jeder genau, was er als Nächstes tun muss, weil es gar nicht anders geht. Man kann nicht ausscheren. Da ist Deutschland weiter.

Muss man Staaten abschaffen?

Vollkommener Wahnsinn, dass es Staaten überhaupt noch gibt! Erst gab es Stämme, dann irgendwelche kleinen Fürstentümer, dann kleine Königreiche, dann Nationalstaaten. Und logischerweise werden diese sich auch bald auflösen und dann gibt es nur noch ein Land, das Weltland.

Und Religionen?

Müssen auch sofort abgeschafft werden. Alle Kriege, die wir in den letzten Jahrzehnten hatten, waren ja religiös motiviert. Ein Rückfall ins Mittelalter! Alle Kirchen, Moscheen und Synagogen müssen durch Spiritual-Zentren ersetzt werden. Da trifft man sich in hellen Räumen vor einer großen, gleißend hellen Leuchtwand und entwickelt gemeinsam gute Ideen.

Nehmen Sie Drogen?

Ich habe darüber gelesen, das hat mich alles wirklich sehr abgeschreckt. Ein Gramm Drogen soll ja 700 Euro kosten, depressiv und kaputt machen.

Macht nicht Geld alles kaputt?

Ich als Kommunist möchte jetzt mal eine Lanze für den Kapitalismus brechen! Träumer haben die Welt noch nie verändert. Das waren immer Geschäftsmenschen! Wichtig ist nur, dass man nicht nur an den eigenen Profit denkt, sondern auch den anderen etwas Gutes gibt.

Haben Sie als Apfelkuchengeschäftsmann jemals einen Apfelkuchen verkauft?

Dazu kam es nicht. Der Backofen ist nach den ersten zehn Kuchen, die wir alle selbst gegessen haben, kaputtgegangen und die Ersatzteile kamen nicht an. Wir haben versucht, das Mobiliar des Fachgeschäfts für Apfelkuchenhandel zu verkaufen, es war aber viel zu teuer.

Sie hatten sicher ein besonderes Apfelkuchenrezept?

20 Gramm Mehl, ein Liter Wasser, ein Liter Milch, ein Päckchen Sahne, sechs Eier, drei Äpfel und 20 Kilo Butter, alles vermengen, 180 Grad im vorgewärmten Backofen 3–4 Stunden erhitzen, bis der Kuchen richtig aufschäumt. Man kann mit dem Rezept binnen einer Woche zehn Kilo zunehmen!

Kopfkrawatten liefen auch nicht so gut, oder?

Ich hab keine einzige verkauft. Es hat nie jemand eine bestellt. Der einzige Prototyp ist heute verschollen.

„Es sind immerhin viele junge Leute hier, die nicht wissen, was sie wollen. Das ist ein mächtiges Potential!“

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass vor Ihrem Laden eines Morgens 100 zertrümmerte Ikea-Regale lagen, weil Sie versprochen hatten, für jedes zertrümmerte Ikea-Regal kostenlos ein eigenes zu liefern?

Das stimmt, wie alles, was in meinem Buch steht.

Sicherlich auch, dass die Diplome Ihrer Akademie an jeder Hochschule gültig sind?

Ja, warten Sie mal, ich habe gerade doch noch eins hier herumliegen sehen, hier, schauen Sie: „Dieses Diplom hat Gültigkeit an allen deutschen Hochschulen“! Und hier, über dieser gestrichelten Linie, da hätte Ihr Name stehen können.

Kann ich das nachholen?

Wenn mein Buch ein Weltbeststeller wird – und alles deutet darauf hin –, wird es die Wissenschaftsakademie wieder geben, und zwar in riesigem Maßstab! Diesmal auf europäischer Ebene. Möglicherweise sogar weltweit!

Eigentlich wollten Sie doch nur noch spazieren gehen.

Vor Überraschungen ist man nie gefeit.