: Frauen auf der Flucht
UNTERWEGS Ein Drittel der Asylsuchenden in Berlin ist weiblich. Viele haben ihre Kinder bei sich. Manche sind sexuellen Übergriffen ausgesetzt. Zum Frauentag hat die taz einige von ihnen getroffen
■ Mit zahlreichen anderen Organisationen, Vereinen und Parteien – von der DGB-Jugend über die Grünen bis zur transgenialen Antifa – ruft die Potsdamer Initiative Women in Exile zur Teilnahme an der bundesweiten Demo heute am Samstag zum Frauenkampftag auf. Feminismus heute bedeutet laut Demoaufruf, „eine Perspektive zu entwickeln, die verschiedene Diskriminierungsformen und ihre Verschränkungen im Blick hat … So sind migrantische Frauen von verschränkten Diskriminierungsformen betroffen: Rassistische Migrationspolitik in Deutschland, Alltagsrassismus, sowie ein hochgerüstetes Grenz- und Abschiebungsregime machen ein sorgenfreies Leben unmöglich.“
■ Auftakt der Demonstration ist um 13 Uhr am Bahnhof Gesundbrunnen, Abschluss ist ab 16 Uhr am Rosa-Luxemburg-Platz.
■ „AkzepTANZ“ ist das Motto des diesjährigen „Frauenmärzes“, der Veranstaltungsreihe des Bezirksamts Tempelhof-Schöneberg mit Lesungen, Performances, Tanz und Kabarett an unterschiedlichen Orten. Programm bis 30. März, Info: frauenmaerz.de.
■ Einen Frauenmärz gibt es gleichfalls in Pankow – mit Veranstaltungen bis zum 17. März. Motto hier: „streitbar & vernetzt“.
■ Am heutigen Samstag feiert auch das Frauenblasorchester Berlin zehnjähriges Bühnenjubiläum: ab 19 Uhr im Jazz-Institut Berlin, Einsteinufer 43–53.
VON NINA APIN, SUSANNE MEMARNIA UND PLUTONIA PLARRE
Der Warteraum ist gerammelt voll. Kinder toben zwischen den Stuhlreihen, Erwachsene schlafen zusammengesunken in den Sitzen, viele haben Gepäck dabei. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in der Moabiter Turmstraße ist der erste Anlaufpunkt für Flüchtlinge, die nach Berlin kommen. Oliveira T., eine zierliche 27-Jährige mit Pferdeschwanz und schwarzen Jeans, die inmitten ihrer Familie dort sitzt, weiß, dass ihre Chancen auf Asyl nicht groß sind: Roma wie sie könnten in Serbien inzwischen ungehindert leben, wie sie selbst einräumt. Aber: „Es ist ein Leben in Armut, ohne Zukunft.“ Deshalb hofft sie trotzdem auf eine Chance für sich, für ihre sieben Kinder und den nierenkranken Mann. Jeder Tag, den sie alle zusammen hier verbringen könnten, sei ein guter Tag, sagt sie, bevor ihre Wartenummer aufgerufen wird.
Nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge sind rund ein Drittel der 8.300 Asylbewerber, die derzeit in Berlin leben, Frauen. Die meisten von ihnen sind Tschetscheninnen aus Ländern der russischen Föderation, Sinti und Roma aus Balkanstaaten wie Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien. Vietnam und die Kriegsländer Afghanistan und Syrien sind die nächsthäufigsten Herkunftsländer. Die Mehrzahl dieser Frauen kommen mit Kindern und Familie.
Besonders aus afrikanischen und arabischen Ländern reisen auch immer mehr Frauen alleine an, unter oft dramatischen Umständen. So wie die 34-jährige Ghanaerin Leyla S., die mit dem Boot aus Libyen nach Lampedusa floh. Und jetzt als einzige Frau unter 80 Männern in einem Caritas-Wohnheim im Wedding lebt. Ihre Kinder musste sie in Ghana zurücklassen, in Berlin engagiert sie sich in der politischen Flüchtlingsbewegung. Bis zum Winter schlief sie in den Protestzelten auf dem Kreuzberger Oranienplatz – in einem Zelt mit sieben Männern. Frauen seien nicht so stark wie Männer, glaubt Leyla S.: „Normalerweise heiraten wir, leben mit unseren Familien.“ Dass sie ihre Kinder nicht bei sich hat, ist nicht freiwillig gewählt.
Die Geschichten, Perspektiven und Situationen der Frauen, die hier leben, könnten verschiedener nicht sein. Im Vergleich zu den Männern kommen sie viel öfter mit Familienanhang. Leben sie allein, suchen sie stärker Gruppen und Kontakt zu anderen Frauen. Doch eines haben die Romni aus Serbien, die Ghanaerin und andere Frauen gemeinsam: Für sie ist Berlin ein Sehnsuchtsort, die Hoffnung auf ein neues Leben in Würde.
Für die Afghanin Nergez H. heißt Würde vor allem Angstfreiheit. Weil sie in Kabul arbeiten ging, wurden sie und ihre Familie von den Taliban bedroht. Hier in Berlin fühle sie sich auch unverschleiert sicher, sagt sie im Büro des Evangelischen Jugend-und Fürsorgewerks in Moabit, wo sie soeben zusammen mit ihrem Mann einen Mietvertrag unterzeichnet hat: Familie H. kann demnächst aus der überfüllten Sammelunterkunft in Spandau in eine eigene Wohnung ziehen. Ein Glücksfall – nur 275 Wohnungen konnten 2013 in Berlin an Flüchtlinge vermittelt werden. Der Großteil derer, die in die Hauptstadt kommen – das waren im Jahr 2013 rund 6.000 Menschen – ist nach wie vor in Heimen, Hostels und hastig bereitgestellten Notunterkünften untergebracht.
So wie Merizela A. aus Bosnien, die mit ihrem Mann und sechs Kindern in einem abrissreifen ehemaligen Seniorenheim in Köpenick lebt. Viel mehr werden die A.s von Berlin wohl auch nicht sehen. Die Behörden haben für ihre Personengruppe – Armutsflüchtlinge vom Balkan, die seit 2012 vermehrt nach Berlin drängen – Schnellverfahren eingerichtet. Wer nicht humanitäre Gründe geltend machen kann, muss nach drei Wochen wieder ins Herkunftsland zurück. Keine Perspektive, um hier ankommen zu können: Ihr Zimmer im Heim verlasse sie ohnehin kaum, sagt Merizela A. – „draußen kenne ich nichts, da warten doch nur Probleme“.
Problemfall Lager
In einer Villa im beschaulichen Babelsberg residiert neben dem Brandenburger Flüchtlingsrat und der Opferperspektive seit Anfang Januar die Initiative Women in Exile e.V. Die Flüchtlingsfrauen und ihre Freundinnen kämpfen für die Abschaffung der Heime (siehe Kasten). Aus eigener Erfahrung wissen sie, dass die „Lager“, wie die Flüchtlinge sie nennen, für Frauen eines der größten Probleme sind.
Betty W., eine der Gründerinnen von Women in Exile, lebte sechs Jahre in einem Heim in Prenzlau als Alleinerziehende mit zwei Kindern. Sie erzählt: „Man hat dort gar keine Privatsphäre, die Heimleiter kommen einfach in dein Zimmer. Küche und Bad muss man sich mit vielen Menschen teilen, es kommt zu Konflikten zwischen verschiedenen Kulturen.“ Und zwischen Männern und Frauen: Im nervenzehrenden, oft Jahre dauernden Schwebezustand – ohne Beschäftigung, wartend auf die Asylentscheidung – komme es nicht selten zu Gewaltausbrüchen und zu sexueller Belästigung von Frauen, sagt Betty W. „Es wird viel getrunken in den Heimen, das ist ein offenes Geheimnis.“
Nach Brandenburg kamen 2013 3.058 Asylbewerber, davon waren 1.206 Frauen, die meisten kommen mit Kindern und ein Großteil davon ist in Heimen untergebracht.
Aus Afrika kommen relativ wenige Flüchtlinge nach Berlin und Brandenburg – 2013 waren es insgesamt rund 1.100. Diese Flüchtlingsgruppe stand in den letzten Monaten unter anderem wegen des Camps am Oranienplatz medial besonders im Fokus.
Eine der wenigen Frauen, die in der von Flüchtlingen besetzten Schule in der Reichenberger Straße in Kreuzberg lebt, ist Mary D. Die Nigerianerin, die aus Angst vor den Behörden weder ihren echten Namen noch ihr Alter nennen will, lebt auf der Frauenetage, einem selbst geschaffenen Refugium, das die männlichen Bewohner nicht betreten dürfen. Mary D. teilt sich ein Zimmer mit zwei anderen Frauen. Auch sie stammen aus afrikanischen Ländern, haben laufende Asylverfahren und sind trotz Residenzpflicht aus Heimen geflohen. Der hohe Raum mit Holzparkett hat kein Waschbecken, keine Kochgelegenheit, ihre Kleidung müssen die Frauen in Kochtöpfen waschen. Aber, sagt die Mittvierzigerin entschieden: „Ich gehe nie wieder zurück nach Eisenhüttenstadt, wo ich ohne Kontakte und Beschäftigung im Wald sitze und noch nicht mal telefonieren kann. Denn da werde ich verrückt.“
■ 2002 gründeten Flüchtlingsfrauen in Brandenburg die Gruppe Women in Exile, weil sie immer wieder die Erfahrung einer doppelten Diskriminierung machen: durch die, wie sie sagen, „rassistischen Gesetze“ für Asylbewerber – und als Frauen. Die rund ein Dutzend Aktivistinnen organisieren Treffen und Seminare in den Heimen: Sie informieren die Flüchtlingsfrauen über die Gesetzeslage und dokumentieren ihre Klagen.
■ Ende 2010 entschied die Gruppe, sich auf den Kampf gegen Lager zu konzentrieren. Auftakt ihrer Kampagne war ein Treffen mit dem brandenburgischen Sozialminister. Dieser informierte darauf in einem Rundschreiben die Heimleiter, dass sie die Zimmer der Bewohner nicht mehr ohne deren Erlaubnis betreten dürfen.
■ Als Erfolg wertet die Gruppe auch ihre Proteste vergangenen Sommer, die die Stadt Potsdam dazu brachten, ihren Plan für ein neues Heim aufzugeben und die neu ankommenden Flüchtlinge in Wohnungen unterzubringen.
■ Dennoch bleibt viel zu tun: Trotz mehrerer Landtagsbeschlüsse habe sich in den Heimen nicht viel verbessert, beklagt die Organisation. So gelte weiterhin der Standard von nur sechs Quadratmetern Wohnfläche pro Person in den Heimen. Wegen der steigenden Flüchtlingszahlen würden stetig weitere Heime nach den gleichen Vorgaben eingerichtet.
■ In Berlin gibt es keine Beratungsstelle speziell für Flüchtlingsfrauen. Auf der Internetseite des Flüchtlingsrats sind allgemeine Informationen zu Themen wie Wohnen, Bleibe- und Asylrecht abrufbar. Für den International Women Space in der besetzten Schule in Kreuzberg setzt sich die Flüchtlingsinitiative namens Asylstrike Berlin ein. (sum)
Mary D. ist eine Ausnahme: Sie hat keine Kinder und konnte es so wagen, die Sicherheit im Heim einzutauschen gegen die selbstbestimmte Prekarität in der besetzten Schule.
Kinder kosten Zeit
Mit der Familiensituation erklärt Delphine M., eine 29-jährige Kamerunerin, die bei Women in Exile mitarbeitet, warum sich bei Flüchtlingsprotesten vor allem Männer hervortun. „Mütter haben weniger Zeit, sich politisch zu betätigen.“ Mit Kind könne man nicht am Brandenburger Tor hungerstreiken oder von München bis Berlin laufen.
Delphine M. wurde in Deutschland Mutter, im Erstaufnahmelager in Eisenhüttenstadt fand sie einen Flyer von Women in Exile – seitdem ist sie aktiv dabei. „Die Frauen kommen besser mit dem Exil klar, weil sie sich um die Kinder kümmern müssen“, sagt sie. Männer und Single-Frauen können sich dagegen mehr gehen lassen und tun, was sie wollen.
Women in Exile spricht mit Frauen in den Heimen, dokumentiert ihre Klagen, vertritt Fraueninteressen auch in den Heimen. Frauenspezifische Fluchtgründe gebe es viele, berichten Betty W. und Delphine M. „Viele Frauen aus Afrika fliehen zum Beispiel wegen drohender Beschneidung oder Zwangsverheiratung oder vor der Gewalt in der Familie“, erzählt Betty. Doch nur selten werde das hier als Asylgrund von den Richtern anerkannt. Frauen würden sich daher oft andere Geschichten für die Asylanhörung zurechtlegen – manchmal auch, um das Trauma nicht erneut durchleben zu müssen. Und manche, sagt Delphine, setzten ihr Frausein gezielt ein, um hierbleiben zu können: Sie versuchten zu heiraten oder schwanger zu werden. „Aber das macht dich wieder abhängig von einem Mann.“
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