„Kondome, so was nahm er nie gern“

ALT Hildegard Müller ist 82 und hatte Angst beim Sex. Auch wenn es manchmal schön war. Nur einmal in der Woche, da wäre ihr Mann nicht zufrieden gewesen. Welche Stellungen sie hatten? Na, alle

Mit meinem Mann hat’s ein Vierteljahr gedauert, ehe … Hätte er’s eher versucht, hätte ich gesagt: Hau ab!

PROTOKOLL STEFFI UNSLEBER

Schon in der Schule haben meine Freundin und ich ausgemacht: Nur den heiraten wir, den wir auch an uns ranlassen wollen. Jahre später habe ich sie getroffen und gefragt: Hast du denn wahr gemacht, was wir uns geschworen haben? Und sie: Du wirst lachen, wirklich wahr.

Ich bin in Thüringen aufgewachsen, in Apolda. Als ich sechzehn war, war der Krieg zu Ende, aber dann fing die Hungersnot an. Manchmal sind wir ins Bett gegangen, hungrig, weil wir nichts zu essen hatten. Aber zum Tanz sind wir trotzdem, meine Schwester und ich, so in Glockenröckchen, mit weißer Bluse, schwarzem Schlips und einer Brosche dran.

Ich war aber gar nicht „so eine“, so wie das vielleicht heute alle denken über mich. Nur die Klappe, die war groß. Da haben alle gedacht: Oh, das sind welche. Aber die Männer, die uns nach Hause bringen wollten, vor denen sind wir abgehauen, meine Schwester und ich. Einmal hat einer meiner Schwester hinterhergerufen, so richtig abfallend: Du alte Fotze, du! Geh doch! Gut, dass wir so frei erzogen waren, da konnten wir gleich Kontra geben.

Wir haben uns innerhalb der Familie über Geschlechtsverkehr unterhalten wie über jedes andere Thema auch. Meine Schwiegereltern waren später erst mal irritiert, dass jemand so war wie ich. Das war ja alles hinter vorgehaltener Hand, die Kinder durften davon nichts wissen. Da habt ihr aber was verpasst, habe ich gesagt. Eine, mit der ich mal im Krankenhaus lag, die meinte: So was gibt’s bei uns nicht und gab’s auch nicht bei meinen Eltern. Als ich geheiratet habe, hat sie gesagt, da habe ich mich noch nicht mal nackig ausgezogen vor meinem Mann. Da hat sie die Kleiderschranktür aufgemacht, und dahinter hat sie sich umgezogen. So was Beklopptes. Wir waren so, wie’s heute schon ist, aber das gab’s früher ganz selten. Ich konnte mit meiner Mama drüber reden, mit dem Vater weniger, aber wir haben unsere Witzchen drüber gerissen – das gehört doch zum Leben dazu, oder nicht? Wie das Leben zum Tod gehört oder der Tod zum Leben.

Ich bin einmal alleine zum Tanzen, und da hat mich einer heimgebracht, der war verrufen, dass der jede mitnimmt. Aber der war so anständig. Und wo er sich verabschiedet hat, sagt der: Gell, Hildegard, jetzt hast Angst gehabt. Weil du so verrufen bist, sag ich. Nee, Hildegard, sagt der. Das sind die Frauen selber, die bieten sich direkt an. Welche, die so die Nase hochgetragen haben, das waren die ersten, die sich angeboten haben. Ich hätte das nicht geglaubt, hätte er’s nicht erzählt. Aber Männer wollen so was nicht. Die nehmen lieber die Frauen, die sich nicht anbieten.

Und als ich dann mit meinem Mann ging, da hat’s bestimmt ein Vierteljahr gedauert, ehe … Nicht wie’s heute ist, dass sie gleich ins Bette kriechen. Der hätte das gar nicht gewagt. Hätte er’s schon vorher versucht, hätte ich gesagt: Hau ab! Ja, so war ich.

Bei meinem Mann und mir war es die schier himmelhochjauchzende Liebe. Wir haben uns beim Tanzen angeguckt, und es war so, wie man es manchmal liest: Es war um uns geschehen. Und so war unser erster Geschlechtsverkehr. Unterm Birnbaum haben wir’s gemacht. Mit einem Mal hatte ich Angst, da klatschten Birnen runter. Ich dachte, es beobachtet uns wer, der wirft was auf uns. Aber nee, das war nur vom Birnbaum.

Neun Jahre sind wir zusammen gegangen, und meine Schwiegereltern haben gesagt: Hildegard, wir wollen einmal ein Fest feiern. Und ich habe gesagt: Ich heirate nicht eher, als wie ich muss. Nach neun Jahren musste ich, weil ich in anderen Umständen war, mit meiner Tochter. Aber ein Vierteljahr nach der Hochzeit hätte ich mich schon wieder scheiden lassen können. Da dachte mein Mann, er hat freien Lauf. Der war Fußballer und ging dann zum Spiel, in die Sitzung, zum Spielmannszug, der war immer unterwegs, hat seins gemacht. Ich hab’s trotzdem noch ausgehalten, und so waren wir sechzehn Jahre verheiratet.

Nur einmal in der Woche Geschlechtsverkehr, da wäre mein Mann nicht zufrieden gewesen. Die meisten haben mir erzählt: Mittwochs wird die Mitte geteilt. Aber die Angst war immer dabei, auch wenn es manchmal schön war. Kondome gab es schon, aber die waren teuer. Und mein Mann hat so was nie gerne genommen.

Es gab Mittelchen, wenn die Frauen in anderen Umständen waren, dass sie das Kind nicht kriegten, sondern wieder ihre Tage. Das hat funktioniert, sonst hätte ich noch mehr Kinder gehabt als zwei. Und ich wollte doch eigentlich gar keine.

Welche Stellungen wir hatten? Na, alle. Was man in den freizügigen Filmen an Stellungen so sieht von denen, die sich anbieten für Geld, das gibt es in der Ehe auch. Ist alles menschlich, oder?

Das mit dem Höhepunkt, ja, das ist schwierig. Da muss der Mann schon auf die Liebste eingehen. Aber mit der Zeit stellt er fest, wie er sie befriedigen kann. Am Anfang war das nicht so, aber später, das spielt sich alles ein.

Dann habe ich mich scheiden lassen, weil eine andere ein Kind von ihm bekommen hat, zur gleichen Zeit, wie ich meinen Jungen gekriegt hab. Ich hab ihr gesagt, sie kann ihn kriegen. Ich hatte die Schnauze dermaßen voll von dem Mann. Aber das mit dem Scheiden würde ich heute niemandem mehr raten. Wenn man mit zwei Kindern alleine steht, ist es schwer im Leben. Mit Kindern macht man das nicht.

Ich wollte meinem Mann beweisen, dass ich auch ohne ihn auskomme. Aber als die Ehe in die Brüche ging, wurde ich krank. Versteckte Gelbsucht, so nannte man das damals. Meine Tochter wurde immer weniger, sie hat meine Schwester und mich angesteckt. Ich habe mich davon nie erholt, die Bauchspeicheldrüse ist angegriffen, und manchmal habe ich Koliken und muss mir heiße Umschläge machen.

Ich wollte eigentlich in die ganze Welt, Stewardess oder so was. Träume. Das konnten wir damals gar nicht. Ich bin Schneiderin geworden. Aber dass die Frauen etwas zu sagen hatten?

Ich hätte direkt wieder heiraten können nach der Scheidung, die Fußballfreunde meines Mannes kamen, aber ich wollte nicht. Nach Jahren habe ich eine Annonce gelesen in der Zeitung. Stand drinnen: Wassermann-Mann sucht eine Frau. Und ich habe meinen Blödsinn gemacht, kurz und bündig geschrieben: Hallo Wassermann-Mann, hier schreibt dir Jungfrau-Frau. Der hat 300 Zuschriften gekriegt, wunderbare Zuschriften. Aber er hat mir geschrieben und so bin ich zu ihm gefahren und einige Tage geblieben. Schlosser war er.

Zwölf Jahre waren wir zusammen, aber es war eher freundschaftlich. Der war impotent. Da hab ich ihm gesagt: Das macht mir nichts. Im Gegenteil, da freue ich mich, habe ich gesagt. Denn davor hatte ich Angst. Weil ich ja schon älter war und die erste große Liebe war mein Mann. Es hat auch nicht geklappt mit uns, weil er egoistisch war und ein Pascha. Aber wegen ihm bin ich in Berlin gelandet.

Seit einem Jahr habe ich einen Freund hier im Altersheim, der hat mir einen Strauß Rosen geschenkt, als ich eingezogen bin. Und das fand ich so nett. Über dreißig Stück. Ein Liebesbrief war auch dabei. Damals hat uns der Pfleger gefragt, ob unsere Liebe auch Geschlechtsverkehr umfasst. Mein Kleener und ich, bumsen wir zusammen? Nein! Er braucht jemanden, wenn er ins Bette geht, den er in den Arm nehmen kann, und dann schlafen wir zusammen ein.

Aber da ist das Freizügige, was es heute gibt, was ich auch nicht direkt begrüße. Wenn das innerhalb der Ehe ist, geht das. Wie sie so sagen: ein flotter Dreier! Gell, Kleener, wir wollen heute einen flotten Dreier machen! Nehmen wir den Frank, unseren Pfleger, mit ins Bett! Das ist doch heute so gang und gäbe, Mensch.